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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel
Autoren: Thráinn Bertelsson
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langsam. Es ging um Leben und Tod. Er robbte auf dem Bauch
zu ihr, so schnell es ging, ohne dabei im Schlamm
einzusinken.
    Hörte Sirenen in der Ferne. Hilfe nahte.
    Schaffte es, ihre Fingerspitzen zu packen, die seinem Griff
entglitten und im Schlick versanken.
    Er versuchte zu schreien, aber es kam kein Laut heraus.
    Grub mit den Händen im Treibsand und ergriff ihr Haar. Zog
fest daran und scherte sich nicht darum, dass er selbst einzusinken
begann.
    Das Sirenengeräusch näherte sich. Bloß nicht aus
dem Griff verlieren. Er zog jetzt mit aller Kraft und schaffte es,
seinen Schatz aus dem Pfuhl zu ziehen.
    Entsetzen erfüllte ihn, als er sah, dass es sich nicht um
Þórhildur, sondern den rothaarigen Kerl von Schiphol
handelte, der an die Oberfläche kam. Der Junge war
quicklebendig, hatte aber einen wütenden Ausdruck im Gesicht,
spuckte schwarzen Schlick aus und sagte: »Hab ich etwa kein
Recht auf Sommerferien?«
    Er ließ los und versuchte, von dem Kerl wegzukommen, der
gerade einen Tobsuchtsanfall bekam.
    Der Lärm der Sirenen machte ihn wahnsinnig.
    Víkingur erwachte schweißgebadet und in seine Decke
gewickelt. Das Sirenengeräusch draußen entfernte sich.
Er versuchte sich zu orientieren. Er hatte sich aufs Bett gelegt,
um auf Þórhildur zu warten, und war
eingeschlafen.
    Es war 01:34 Uhr.
    Er war allein. Sie war immer noch nicht da.

Sechs
    Als er herunterfuhr, konnte er nicht vermeiden, sich in den
Spiegeln des Aufzugs zu sehen. Schlaftrunken, mit zerzaustem Haar,
geröteten Augen und verknitterter Kleidung. Über seine
Wange lief eine rote Linie wie eine Narbe, ein Abdruck von dem
zusammengeknüllten Kopfkissen. Er bereute es, sich keine Zeit
genommen zu haben, sein Aussehen kurz zu richten, bevor er aus dem
Zimmer gestürmt war.
             
    Der junge Mann und die junge Frau am Empfang hörten zu lachen
auf, als er in ihre Richtung ging, und schauten ihn mit
höflicher Erwartung an.
    Die Rezeptionistin fragte, ob alles in Ordnung sei.
    »Ja«, sagte er. »Also, eigentlich nicht. Ich bin
in Zimmer 408 und musste heute Abend weg. Meine Frau blieb zu
Hause. Als ich um elf Uhr wiederkam, war sie fort.
    Ich dachte, sie sei kurz ausgegangen, um sich etwas zu essen zu
besorgen, sodass ich mich hinlegte und einschlief. Jetzt bin ich
aufgewacht, es ist fast zwei Uhr und meine Frau ist immer noch
nicht da.« Die beiden an der Rezeption hörten dieser
Erzählung mit Interesse zu.
    Der junge Mann hatte im Computer nachgesehen.
    »Hier ist es. 408. Heißt Ihre Frau
Magnúsdóttir, Herr Gunnarsson?«
    »Ja, sie trägt nicht denselben Nachnamen wie ich.
Isländische Frauen behalten ihren Nachnamen, wenn sie
heiraten.« Víkingur war nicht danach, weitere
Erklärungen zur isländischen Namensgebung zu
machen.
    »Ich wollte fragen, ob sie vielleicht eine Nachricht für
mich hinterlassen hat, als sie das Hotel
verließ.«
    »Hier im Computer ist keine Nachricht und im Fach auch
nicht«, erwiderte der Hotelangestellte. »Wann ist sie
denn losgegangen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Víkingur.
»Ich war nicht hier. Sie muss irgendwann zwischen sieben und
elf losgegangen sein.«
    »Gestern Abend?«, fragte die junge Frau.
    Einen Moment lang schien es ihm, als glaube ihm das Mädchen
seine Geschichte nicht. Aber sie starrte ihn mit großen Augen
voller Pflichtbewusstsein und Anteilnahme an.
    »Ja, genau. Gestern Abend. Hatten Sie gestern Abend
Dienst?«
    Die beiden sahen sich gegenseitig an. Wollte der Mann sie jetzt in
irgendeiner Form verantwortlich machen?
    »Seit neun Uhr. Da beginnt die Nachtschicht«,
erklärte der junge Mann. Willem stand auf einem Namensschild
an seinem Revers. »Sie könnte das Haus vor dieser Zeit
verlassen haben. Wir haben niemanden gesehen. Kann es sein, dass
sie oben im Zimmer eine Nachricht hinterlassen
hat?«
    Víkingur gab auf. Sie hatten Þórhildur
offensichtlich nicht bemerkt und fanden es offensichtlich genauso
nervig, seine Fragen beantworten zu müssen.
    »Wenn sie eine Nachricht hinterlassen hätte, müsste
ich jetzt nicht hier stehen und Sie fragen«, entgegnete
Víkingur.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Willem und nahm einen
bedauernden Ausdruck an. »Ich versuche nur, zu
helfen.«
    »Ja, das verstehe ich. Nein, oben ist keine
Nachricht.
    Entschuldigen Sie. Ich mache mir einfach Sorgen.«
    »Hat sie denn kein Telefon?«, fragte die Empfangsdame.
Sie schien erst seit Kurzem hier zu arbeiten, denn sie hatte kein
Namensschild an der Brust.
    Víkingur schämte sich
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