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Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor

Titel: Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
Autoren: Harald Evers
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diese Aura mit quälender Langsamkeit um diese Achse - so träge, dass es gar nicht zu dem wütenden Wetter und den peitschenden Regenböen passen wollte. Und in der Mitte dieser Aura kniete eine Gestalt am Boden, offensichtlich ein Gefangener.
    Leandra hatte für Sekunden das Atmen vergessen. Sie fuhr sich mit beiden Händen über die Augen, um den Regen fortzuwischen. Sie versuchte, weitere Einzelheiten zu erkennen.
    Die Hände des Gefangenen waren auf dem Rücken zusammengebunden. Im Gegensatz zu den fünf übrigen Männern, trug er Kleider wie ein gewöhnlicher Bürger, nicht jene nachtschwarzen, konturlosen Roben wie seine Peiniger. Ja, Leandra wusste sofort, auf welcher Seite sie stand, obwohl sie kaum mehr sehen konnte als eine im kalten Regen kauernde Männergestalt. Sie war sogar von ihr abgewandt und halb hinter einer anderen Gestalt verborgen, die im Vordergrund auf dem Boden kniete.
    Über dem Gefangenen drehte sich die violette, unheilvoll leuchtende Aura in den nächtlichen Regenhimmel hinein, so als sauge sie ihm das Leben aus dem Leib - Leandra konnte es förmlich spüren. Sie hatte Mühe zu atmen. Es war ihr neu, dass es magische Ereignisse gab, die sich so deutlich nach Verderbnis und Tod anfühlten.
    Die Farbe dieses mystischen Strudels war das reinste Gift, und sie glaubte nicht, dass der fremde Mann diese Szene mit heiler Haut überstehen würde. Sie fragte sich, warum sie ihn nicht schon vorher bemerkt hatte, aber dann sah sie zu seinen Füßen einen dunklen nassen Haufen im Licht der Blitze glänzen - er hatte wohl ebenfalls eine der schwarzen Roben getragen, als er angekommen war.
    Und dann begann der Wahnsinn der stygischen Energien aufs Neue - die Kräfte stiegen wieder an, und sie umschloss ihren Norikelstein noch fester, damit sie diese Gewalten irgendwie loswerden konnte. Es fühlte sich an wie das eine Mal, da sie als junges Mädchen zu viel getrunken hatte - alles drehte sich in ihrem Kopf -, nur war da noch diese albtraumhafte Angst, die sich wie ein mörderisches Insekt in ihrem Hirn festgekrallt hatte und sie nicht loslassen wollte.
    Doch schließlich schaffte sie es, ihr eigenes Ich überwiegen zu lassen - unter Aufbietung allen Willens, zu dem sie fähig war. Sie hob den Kopf ein wenig mehr hinter ihrer Deckung hervor.
    Kurz darauf überkam sie ein neues Gefühl. Es war wie die Gegenwart einer weiteren Person - irgendjemand, der sich von außen näherte. Nein, korrigierte sie sich, es war eine Wesenheit, die in der magischen Aura zu entstehen schien. Im nächsten Augenblick schon wusste sie, was geschah. In der Mitte des Strudels, über den Köpfen der Fremden, änderte sich die blauviolette Farbe ins Rötliche hinein. Es war wie glühende Magma. Sie glaubte plötzlich, sich die Hitze und tödliche Kraft glutflüssigen Gesteins vorstellen zu können, als sie diese Empfindung überkam. Ihr Inneres Auge war in der Lage, die Gegenwart der neu hinzukommenden Person in dem Strudel zu spüren. Ohne dass sich die glühende Verfärbung zu einer Gestalt verdichtete, konnte Leandra sie dennoch erkennen. Es war das Gesicht einer Frau - und Leandra kannte sie.
    Sie stöhnte innerlich auf, denn diese Frau zählte zu den allerletzten, die sie mit einer solchen Szene in Verbindung gebracht hätte. Es war das Gesicht von Limlora, einer der Töchter des Shabibs - des Herrschers von Akrania.
    Wer einmal Limlora gesehen hatte, so sagte man, würde sie nie wieder vergessen. Sie war von fast überirdischer Schönheit, von solch vollkommener Sanftmut und Reinheit, dass sich viele Menschen im Lande wünschten, sie würde einmal die Nachfolgerin des Herrschers des großen Westakranischen Reiches. Doch da Limlora ein so zartes, stilles und zurückgezogenes Wesen war, rechnete niemand damit, dass sie sich jemals der Politik oder den Regierungsgeschäften zuwenden würde. Sie lebte im Palast von Savalgor, zusammen mit ihrem Vater und den anderen Mitgliedern der Herrscherfamilie, und obgleich man sie häufig bei den Versammlungen des Hierokratischen Rates sah und sie eine ständige Begleiterin ihres Vaters zu sein schien, beteiligte sie sich nie an den Debatten, die in den höheren Kreisen zum Tagesgeschäft zählten. Man hielt ihre Gegenwart gemeinhin für eine kluge Maßnahme des Shabibs, ein Mittel, mit dem er seine Verhandlungspartner zu beeindrucken suchte - was ihm auch durchweg gelang. Ihr Lächeln und ihre Anmut schlug jeden in ihren Bann, so sagte man jedenfalls, und kein Burgherr, Handelsfürst oder
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