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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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erst als Greis in die Arme schließen, vorausgesetzt, daß sie dann noch lebten.
    »Stell dir vor, ich habe«, sagte sie strahlend.
    »Du hast?«
    »Jawohl. Unsere Zimmer werden bereits auf Hochglanz gebracht. Du kannst damit beginnen zu übersiedeln.«
    »Wie haben sie es auf genommen?« erkundigte ich mich. »Sind sie mit mir einverstanden?«
    »Sie haben von mir nie etwas Besonderes erwartet.«
    Ich schwamm auf den Wogen der Verwandtschaft wie eine Eierschale. Alles, was Rang und Familiennamen hatte, war erschienen, von Mutti und Papa fürsorglich auf die einzelnen
    Räume verteilt. Man aß, trank und staunte. Ein hoffnungsvoller Jüngling spielte hoffnungslos Klavier, eine hoffnungsvolle Jungfrau sang hoffnungslos die Ballade »Die Leiche von St. Just« von Carl Löwe.
    Ich wanderte, von Papa flankiert, von einem zum anderen, um mit jedem für ein paar Minuten in zwanglosem Gespräch zu verweilen.
    »Onkel Adalbert«, sagte Papa angesichts eines spindeldürren, melancholisch dreinblickenden Greises, »war Dozent für Kirchenmusik und hat auch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht.«
    Der Onkel gab einen kurzen Zischlaut von sich und betrachtete mich mißbilligend.
    »Bewundernswert«, sagte ich erschrocken, »sehr bewundernswert.«
    »Es wird Sie vielleicht interessieren«, fuhr Papa fort, »daß sich Onkel Adalbert vor allem mit dem Mittelalter beschäftigt hat.«
    »Fünfzehntes und sechzehntes Jahrhundert«, zischte der Onkel unzufrieden. »Niederländische Meister: Dufay, Binchois, Okeghem, Obrecht, Josquin. Instrumental- und Figuralmusik.«
    »Nicht möglich«, entfuhr es mir.
    »Wissen Sie«, sagte Papa, während wir uns unter weiteren Zischlauten Onkel Adalberts weiterbewegten, »ich verstehe nichts davon. Aber sicher ist es großartig.«
    Die nächste war ein junges Ding mit schlechten Zähnen und fahlem Teint.
    »Ich bin glücklich«, zwitscherte sie mit einem zärtlichen Blick, »Sie kennenzulernen. Sie werden mich bestimmt Mario vorstellen.«
    »Wer ist Mario?« fragte ich verblüfft.
    »Sie meint den Tenor von der Oper«, klärte mich Papa auf.
    »Was sagen Sie zu seinem Cavaradossi?« schmachtete sie. »Ist er nicht himmlisch?«
    »Gewiß«, stotterte ich, »gewiß.«
    »Wann nehmen Sie mich mit?« fragte sie mit fiebrigen Augen.
    »Wann Sie wollen«, sagte ich höflich, »das heißt, wissen Sie — eigentlich kenne ich diesen Mario gar nicht.«
    »Sie kennen ihn nicht?«
    »So leid es mir tut, nein. Aber vielleicht werde ich ihn kennenlernen. Dann mache ich Sie bestimmt mit ihm bekannt.«
    »Sie sind doch von der Zeitung«, sagte sie trotzig.
    »Allerdings!«
    »Dann schreiben Sie doch auch diese wundervollen Opernkritiken?«
    »Opernkritiken? Leider nein, mein Fräulein. Das besorgt mein Kollege, der Kulturredakteur. Ich bin Politiker.«
    »Politiker«, murmelte sie, und es klang, als hätte sie Vollidiot gesagt.
    Dafür floß Tante Amalie von Liebenswürdigkeit über.
    »Nein, so etwas«, sagte sie, indem sie mich entzückt bei den Händen nahm. »Das ist also der Auserwählte unserer lieben Isabell. Sie hat gut gewählt. Ich muß bekennen, sie hat ausgezeichnet gewählt. Sie fragen, wie ich das beurteilen kann? Oh, niemand kann das besser als ich. Ich habe meine Erfahrungen. Ich war dreimal verheiratet. Dreimal, junger Mann, wissen Sie, was das heißt? Leider waren alle drei von etwas schwächlicher Gesundheit, so daß wir unser Glück immer nur eine kurze Zeitspanne genießen konnten. Sie fragen, ob ich mich wieder verheiraten möchte? Warum nicht! Ich bin sogar überzeugt davon, daß mich ein neuer Lebensfrühling erwartet. Sie wollen wissen, ob ich schon jemanden kenne, dem ich meine Hand reichen würde? Ich kann Ihnen versichern —«
    So routiniert und ausdauernd sie auch sein mochte, nun konnte sie nicht anders, als tief Atem zu holen. Papa benützte die Pause, mich eine Station weiter zu befördern. Benommen hörte ich sie hinter meinem Rücken einer anderen Tante zuflüstern: »Das arme Mädel. Sie wird ihn nicht lange haben. Er hat die gleichen Flecken im Gesicht wie mein Seliger.«
    Als letzten absolvierten wir Onkel Josef, den bäuerlichen Vertreter der Familie. Er war der stattliche Besitzer eines stattlichen Hofes im Oberland und hatte es sich nicht nehmen lassen, an diesem denkwürdigen Tag zu demonstrieren, daß wenigstens noch einer aus der Familie bodenverbunden war. Er hieb mir mit seiner klobigen Rechten unter dröhnendem Gelächter auf die Schulter, daß ich
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