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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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—«
    »Morgen? Sofort, mein Lieber, sofort. Für morgen werde ich Ihre Frau Tante zum Tee bitten.«
    Sie faßte ihre Nichte bei der Hand und rückte mit funkelnden Augen auf mich zu.
    »Frau Oberst«, sagte ich, mich verzweifelt mit dem Rücken an die Tür pressend, »das ist völlig ausgeschlossen. Meine Tante — sie ist völlig erschöpft — sie hat eine schwere Operation hinter sich —«
    In diesem Augenblick gab die Tür nach und sprang auf. Ich schloß die Augen.
    »Da ist ja gar niemand«, hörte ich die Frau Oberst sagen.
    Ich fuhr herum. In der Tat, der Raum war leer.
    Sie begann in kleinen Kreisen herumzulaufen, als wollte sie magische Schleifen ziehen. Vor mir hielt sie ruckartig inne.
    »Was geht hier vor?« fuhr sie mich an, nunmehr wieder ohne jegliches Wohlwollen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich ehrlich.
    »Wo ist Ihre Tante?«
    Ja, wo war sie? Soviel begriff ich, daß sich Personen nicht binnen weniger Minuten spurlos auflösen können. Dieser Meinung war offenbar auch die Frau Oberst.
    »Frieda«, befahl sie, »sieh unter das Bett!«
    Das Mädchen gehorchte.
    »Nun?«
    »Nichts«, sagte Frieda, förderte aber doch Isabells Schuhe und Strümpfe zutage.
    Die Frau Oberst riß ihr die Gegenstände aus den Händen und schwenkte sie wie eine erbeutete Fahne.
    »Was sagen Sie dazu?« triumphierte sie.
    Ich sagte gar nichts.
    »Frieda, zieh die Vorhänge beiseite!« befahl sie weiter.
    Ich erkannte, daß es hoch an der Zeit war, männliche Haltung an den Tag zu legen.
    »Frau Oberst«, sagte ich mit der Entschlossenheit eines Mannes, der mit seinem Leben abgeschlossen hat, »ich protestiere gegen weitere Eingriffe in meine private Sphäre.«
    Sie sah mich mit unendlichem Mitleid an: »Protestieren wollen Sie?«
    »Mit Nachdruck.« Beglückt spürte ich, wie mit jedem Wort eine neue Welle des Mutes über meinen Pyjama hinwegflutete. »Solange ich dieses Zimmer gemietet habe, steht Ihnen nicht das Recht zu, über diesen Raum zu verfügen. Was Sie tun, ist Hausfriedensbruch. «
    Ihre Blicke liefen wie Mäuse von mir zu Frieda und von Frieda zu mir.
    »Ich muß Sie mit allem Respekt bitten, mein Zimmer zu verlassen«, sagte ich gemessen.
    Wer weiß, vielleicht wären die mannhaften Worte nicht ohne Eindruck geblieben, wenn nicht den Kleiderschrank in diesem Moment ein entsetzliches Niesen und Husten erschüttert hätte. Zunächst klang es, als wären ein paar Katzen aneinandergeraten, dann hörte es sich wie eine Schiffssirene an, und schließlich orgelte es wie aus einem Blasebalg.
    Dieser Beanspruchung nicht gewachsen, öffnete sich langsam und feierlich die Kastentür.
    Das Bild brachte mich einer Ohnmacht nahe. Isabell saß, dürftig bekleidet und mit angezogenen Beinen, zwischen meinen Anzügen und streckte uns mit einem langgezogenen, dumpfen »Bähhh« die Zunge entgegen.
    Als hätte sie einen Blick in die Hölle getan, ergriff die Frau Oberst die Flucht, gefolgt von ihrer Nichte.
    »Das haben wir nötig gehabt«, fauchte Isabell und kletterte ächzend aus ihrem Verlies.
    Ich bewegte tonlos meine Lippen.
    »Los! Pack deine Koffer!« sagte sie und gab mir einen Stoß.
    »Jetzt, mitten in der Nacht?«
    »Willst du warten, bis dich der Drachen hinauswirft?«
    Ich irrte planlos im Zimmer umher, abwechselnd meine Hemden vom Kasten zum Sofa, vom Sofa zum Tisch und vom Tisch wieder zum Kasten tragend.
    »Wohin soll ich denn?« jammerte ich. »Du weißt doch, wie schwer heutzutage ein Zimmer zu finden ist.«
    »Dann schläfst du eben unter einer Brücke«, sagte sie hart.
    »Außerdem habe ich bereits die Miete bezahlt.«
    »Sei froh, daß es bis zum Letzten nur mehr acht Tage sind«, entgegnete sie.
    Verbittert begann ich zu packen, bis mich ein heftiges Klopfen an der Tür aus meiner Tätigkeit riß.
    Es war die Frau Oberst.
    »Ich bemerke mit Genugtuung«, sagte sie kalt, »daß Sie wenigstens soweit Ehrenmann sind, um freiwillig die Konsequenzen zu ziehen. Sie sind gekündigt. Wann ziehen Sie aus?«
    »Sofort. Mein Gepäck wird morgen früh abgeholt.«
    Sie nickte zustimmend.
    »Dann bleibt Ihnen nur noch die Pflicht, diese Rechnung für Milch, Brot und die Wäsche zu begleichen.«
    Damit hieb sie mir einen engbeschriebenen Zettel auf den Tisch.
    Ich hieb ihr den geforderten Betrag zurück, ohne die Aufstellung auch nur eines Blickes zu würdigen.
    »Ich habe Sie wie einen Sohn gepflegt«, sagte sie mit vibrierender Stimme zum Abschied. »Ich hatte Ihnen sogar meine Nichte zugedacht, in der Hoffnung,
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