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Hochzeit auf Raten

Hochzeit auf Raten

Titel: Hochzeit auf Raten
Autoren: Paul Georg Kaufmann
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nahezubringen, wobei sie da und dort auch nicht mit herber Kritik sparten. Da hatte zum Beispiel ein Onkel die Unverschämtheit begangen, sein Vermögen mit einer Schauspielerin durchzubringen, anstatt es den ehrsamen Verwandten zu vererben. Eine Tante wiederum hatte sich just auf einen Mann kapriziert, der als Zirkusreiter von Kontinent zu Kontinent zog. Kurzum: man vertraute mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, daß es auch in dieser Familie einige schw4rze Schafe gebe, gottlob aber seien es weniger und harmlosere Fälle als anderswo. Damit mir daran auch ja keine Zweifel kämen, erhielt ich einige solcher Fälle aus anderen, befreundeten Familien sehr ausführlich erläutert.
    Ich konnte nicht umhin, meinem Respekt vor den einzelnen Mitgliedern der Familie rückhaltlos Ausdruck zu verleihen. Es war nur eine Ehrenpflicht, hierauf meinerseits eine respektable Ahnengalerie zu präsentieren.
    Ausgehend von meiner ungarischen Urgroßmutter, entwickelte ich eine imponierende Reihe von Tanten und Onkeln, die allesamt Ausbünde von Tugend und Tapferkeit waren. Vorsorglicherweise vergaß ich auch nicht, einiges über mich selbst zu sagen. Geburt: Arm, aber anständig. Sproß eines einst einflußreichen, aber durch seine Ehrenhaftigkeit materiell abgesunkenen Geschlechts. Kindheit: Entbehrungsreich. In erster Linie bestimmt, meinen Eltern Freude zu machen. Schulbildung: Erstklassig. Alle Prüfungen mit Vorzug. Angeborener Wissensdurst. Militär: Tapfer, vaterlandsliebend, kameradschaftlich. Beruf: Kollegial. Vorgesetzten gegenüber ehrerbietig. Agil. Keine Protektionen. Von der untersten Sprosse emporgearbeitet. Charakter: Familiär, sparsam, maßvoll, aufrichtig. Fehler: Keine.
    Als ich geendet hatte, betrachteten wir einander mit unverkennbarer Zuneigung. Irritiert durch diese schweigsame Versunkenheit, erhob sich der Kater unversehens von seinem Lager und strich katzbuckelnd an den Tisch heran. Ehe ich mich's versah, sprang er auf meinen Schoß.
    »Sieh einer an«, sagte Mutti.
    »Wer hätte das gedacht«, sagte Papa.
    Ich war in den Schoß der Familie aufgenommen, während der Kater behaglich die Wurst fraß, die mir auf die Hose gefallen war.
    Wenig später empfahl ich mich, wohl wissend, daß ich nichts mehr gewinnen, sondern nur mehr verlieren konnte.
    Isabell brachte mich zum Haustor.
    »Du hast die Sache mit deiner Unverschämtheit ausgezeichnet gemacht«, sagte sie befriedigt. »Ein schwerer Fehler ist dir allerdings doch unterlaufen. Aber das schadet jetzt auch nicht mehr.«
    Ich erschrak: »Ein Fehler —?«
    »Ja«, sagte sie, »du bist die ganze Zeit über auf dem Fransenstuhl der Großmutter gesessen.«

19

    Mit diesem Erfolg war vieles, aber noch lange nicht alles gewonnen. Noch stand uns die Aufgabe bevor, Mutti und Papa beizubringen, daß die Zukunft hinter ihnen lag. Vierzehn Tage lang lautete mein Morgengebet: »Lieber Gott, gib, daß sie gestern abend mit ihren Eltern gesprochen hat«, und mein Abendgebet: »Lieber Gott, gib, daß es wenigstens morgen soweit sein wird.«
    Es kam immer etwas anderes dazwischen. Einmal fühlte sich Mutti nicht wohl, einmal kam Papa übelgelaunt nach Hause. Dann war es eine Tante, die überraschend Besuch machte. Die ungünstigen Situationen häuften sich in einem verdächtigen Ausmaß.
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie, als mein Drängen immer leidenschaftlicher wurde, »wir haben genügend Zeit vor uns.«
    »Genügend Zeit? Ganze neunzehn Tage nennst du genügend Zeit?« rief ich, vor Unrast mit den Zähnen klappernd.
    »Neunzehn Tage sind 456 Stunden oder 27360 Minuten. Findest du nicht, daß das beruhigende Zahlen sind?«
    Nein, ich fand das nicht.
    »Außerdem ist uns bisher noch immer eine Lösung geglückt«, setzte sie hinzu.
    »Eben deshalb spricht alles dafür, daß etwas mißlingt.«
    Sie versuchte mich aufzumuntern: »Sollten die Schwierigkeiten andauern, so bleibt uns noch immer der Ausweg, die Sache zu verschieben.«
    Ich bekam Augen wie Wagenräder.
    »Wer verbietet uns, das ausgemachte Jahr um ein paar Wochen (meine Augen wurden zu Riesenrädern) zu verlängern?« erläuterte sie behutsam.
    Mir war, als säße ich nackt auf einem Ameisenhaufen.
    »Nicht um einen Tag! Nicht um eine Sekunde!« schrie ich. »Ich habe genug! Ich will mein Ehebett mit weißen Quasten, ich will die Schwiegermutter, die Tanten, Onkel und Cousinen, ich will meine Hauspantoffeln, ich will ein Ehemann sein, so bieder und vertrottelt wie nur irgendeiner. Und zwar in
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