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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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›Rühmen der eigenen Feigheit‹ den Ton angab]. Es machte ganz den Eindruck, als ob mit Absicht diese Burschen gerade solche Stellen aufsuchen würden, um ihre Anschauungen weiterzuverbreiten.« Tatsächlich mussten während des Ersten Weltkrieges viele Hauptstädter hungern; durch die britische Seeblockade gegen das Deutsche Reich, Missorganisation und massive Ernteausfälle wurden nach dem Brot im Herbst 1916 sogar Kartoffeln knapp, das Grundnahrungsmittel der Millionenstadt. Als »Steckrübenwinter« gingen die folgenden Monate ins kollektive Bewusstsein der Berliner ein; bis dahin hatten Kohlrüben ausschließlich als Viehfutter gedient, nun war man froh, immerhin noch dieses bittere Gemüse essen zu können. Was Hitler im Rückblick als Defätismus empfand, war vor allem die verbreitete Unzufriedenheit mit der allgemeinen Lage. Es gab bereits 1916 einzelne Antikriegsproteste und im Sommer sogar einen ersten Massenstreik Berliner Metallarbeiter; ein Bericht der Berliner Polizei vom 17.August hielt fest: »Jeder sehnt sich nach Beendigung des Krieges (…) Man ist mit den Maßnahmen der Regierung nicht zufrieden, zumal gegen Teuerung und gegen den Wucher nicht genügend eingeschritten wird. Mit dieser Erbitterung gehen die Soldaten ins Feld.« 2

    Sonderlich erbittert haben die Erlebnisse in Berlin Hitler allerdings nicht, entgegen der Darstellung in Mein Kampf. Nach seiner Rückkehr an die Westfront schwärmte er von der Hauptstadt, und zwar so sehr, dass sein Kamerad Richard Arendt ihn einlud, den ersten regulären Urlaub im Oktober 1917 bei seinen Eltern zu verbringen, die im Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg wohnten. Der Besuch erfüllte die Erwartungen offenbar voll; diesen Eindruck vermitteln jedenfalls die Postkarten, die der Tourist Hitler schrieb: »Die Stadt ist großartig. So richtig eine Weltstadt. Der Verkehr ist auch jetzt noch gewaltig. Bin fast den ganzen Tag fort. Habe jetzt endlich Gelegenheit, die Museen etwas besser zu studieren. Kurz: Es fehlt mir nichts«, berichtete er am 6.Oktober seinem Kriegskameraden Ernst Schmidt. Gleich drei Karten von diesem Urlaub sandte Hitler seinem Vorgesetzten Max Amann, dem späteren Geschäftsführer der NSDAP. Am 8. Oktober bedauerte er, »daß meine Tage hier so schnell verlaufen«, am 11. Oktober beschränkte er sich auf

    Spitzel in Uniform: Adolf Hitler 1919 in München (Ausschnitt)

    »Beste Grüße«, und einen Tag später schickte er dem Feldwebel noch eine Ansichtskarte des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf der Schlossfreiheit. 3 Von Hitlers drittem Berlin-Aufenthalt während des Weltkrieges zeugt noch weniger als vom ersten – nämlich nur sein Militärfahrschein in die Hauptstadt, ausgestellt in Dudizeele (Flandern) am 8.September 1918, und eine einzige spätere Erwähnung in einem der endlosen Monologe im Führerhauptquartier: »Während des Krieges hatte ich zweimal zehn Tage Urlaub. (…) Beide Male ging ich nach Berlin, und von der Zeit her kenne ich die Berliner Museen und Sammlungen.« Wenige Tage nach dem Waffenstillstand, während der so genannten Novemberrevolution, am 20. November 1918, war der gerade aus dem Lazarett in Pommern entlassene Gefreite ein weiteres Mal in der Reichshauptstadt; er kam hier offenbar am Stettiner Bahnhof an und nahm den Weg zu Fuß durch die Innenstadt zum Anhalter Bahnhof, um einen Zug nach München zu erreichen. Darauf deutet jedenfalls eine Stelle in Mein Kampf hin: »Nach dem Krieg erlebte ich dann in Berlin eine Massenkundgebung des Marxismus vor dem Königlichen Schloß und Lustgarten. Ein Meer von roten Fahnen, roten Binden und roten Blumen gab dieser Kundgebung, an der schätzungsweise 120 000 Personen teilnahmen, ein schon rein äußerlich gewaltiges Ansehen. Ich konnte selbst fühlen und verstehen, wie leicht der Mann aus dem Volk dem suggestiven Zauber eines solchen grandios wirkenden Schauspiels unterliegt.« Bei dieser Demonstration handelte es sich offenbar um das feierliche Begräbnis der bei Unruhen um den 9. November gestorbenen Arbeiter; die Hauptkundgebung fand auf dem Tempelhofer Feld statt, bewegte sich danach als Demonstrationszug durch die Innenstadt, unter anderem am – seit Kaiser Wilhelms II. Thronverzicht funktionslosen – Berliner Schloss vorbei. 4 Weitere Details über die ersten vier Besuche Adolf Hitlers in der preußischen Metropole sind nicht bekannt. Allerdings genügten diese eher kurzen Aufenthalte, insgesamt weniger als drei Wochen, um eine lebenslange, freilich stets
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