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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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gestörte Beziehung zwischen dem späteren Reichskanzler und seiner Hauptstadt zu begründen: Für Hitler war Berlin fortan stets Ziel im doppelten Sinn – zugleich Feindbild und Wunschbild, sowohl Bezugsgröße im Negativen als auch Bühne für das, was er für seine Verheißung hielt. Seit wann Hitler sich für Berlin interessierte, ist unklar. Nichts deutet darauf hin, dass sich der 1889 in Braunau am Inn geborene Sohn eines kleinen österreichisch-ungarischen Beamten bereits während der Schulzeit in Linz für die Hauptstadt des größeren Nachbarstaats begeistern konnte. Allerdings lag eine touristische Reise über hunderte Kilometer fern jeder Möglichkeit für eine Familie wie die Hitlers. Briefe oder andere persönliche Dokumente haben sich aus dieser Zeit nicht erhalten; die Erinnerungen von echten oder angeblichen damaligen Bekannten sind allzu unzuverlässig. Zunächst jedenfalls zog es ihn nicht nach Deutschland, sondern in die k.u.k.-Metropole Wien; hier bemühte er sich zweimal erfolglos, an der Kunstakademie aufgenommen zu werden, und lebte unter äußerst bescheidenen Umständen vom Malen kleiner Aquarelle. Vielleicht wurde der 20-jährige Hitler erstmals auf Berlin aufmerksam, als er im Herbst 1909 im Obdachlosenasyl von Wien-Meidling den Landstreicher und Kleinkriminellen Reinhold Hanisch kennen lernte. Diese hatte 1907/08 insgesamt neun Monate in Preußens Hauptstadt im Gefängnis gesessen und konnte sogar etwas berlinern, obwohl er eigentlich aus Böhmen stammte. Hanisch erzählte Hitler von seinen Erfahrungen; seinem späteren Zeugnis zufolge »schwärmte« der für Deutschland. Was genau besprochen wurde, bleibt Spekulation, denn Hanischs fragmentarische Angaben sind zweifelhaft. Außerdem hat sich der Diktator selbst nur einmal über den Beginn seines Interesses für die Reichshauptstadt geäußert. 1941 behauptete er in einem seiner Tischgespräche, bereits im Wiener Obdachlosenasyl sei ihm »das Bild vom Neubau der Stadt Berlin erstanden«. Allerdings weist nichts darauf hin, dass er sich derartig früh mit solchen Ideen beschäftigt hat. Hier handelt es sich um eine nachträgliche Verklärung. 5 Jedenfalls war Hitlers Neigung zu Berlin, wenn es sie denn überhaupt schon gab, im Frühjahr 1913 nicht groß genug, um die Millionenstadt dem wesentlich kleineren München als Ziel seiner Flucht vor dem Wehrdienst im österreichisch-ungarischen Heer vorzuziehen. Inzwischen fühlte er sich bereits so sehr als »Deutsch-Österreicher«, dass er die Vorstellung abstoßend fand, in der Armee des Habsburger-Reiches zusammen mit Ungarn, Kroaten, Slowenen und Polen zu dienen. München mag ihm wegen der Nähe Oberbayerns zu seiner Heimat attraktiv erschienen sein und wegen der entsprechend ähnlichen Lebensart – mit Hitlers eigenen Worten: »Die Stadt [München] selber war mir so gut bekannt, als ob ich schon seit Jahren in ihren Mauern geweilt hätte.« Mindestens ebenso wichtig dürfte der damalige Ruf der bayerischen Hauptstadt als Mekka der deutschen Kunst gewesen sein. Hier erhoffte sich der verhinderte Kunststudent den Durchbruch – und kam doch genau wie an der Donau über das Malen nach Postkarten nicht hinaus. München, auch »Isar-Athen« genannt, war vor dem Ersten Weltkrieg ähnlich vielgesichtig wie das multikulturelle, aber zugleich antisemitische Wien oder das prächtige und proletarische Berlin: einerseits ein Zentrum der deutschen Boheme und einzigartig tolerant, gemütlich und bürgerfreundlich, andererseits durch Bierkellerkultur und kleinbürgerlichen Chauvinismus ein Nährboden für rechtsextremistische Organisationen. 6
    Adolf Hitler empfand wie die meisten Politiker und Intellektuellen der extremen Rechten eine Abneigung gegen Großstädte, gegen die Metropole an sich. Das lag vor allem an der Idealisierung der vermeintlich »natürlichen« Lebensweise auf der heimatlichen Scholle, auf Höfen und in Dörfern. In Mein Kampf führte Hitler diese seinerzeit weit verbreitete »Erkenntnis« aus: »Im 19. Jahrhundert begannen unsere Städte immer mehr den Charakter von Kulturstätten zu verlieren und zu reinen Menschenansiedlungen herabzusinken. Die geringe Verbundenheit, die unser heutiges Großstadtproletariat mit seinem Wohnort besitzt, ist die Folge davon, daß es sich hier wirklich nur um den zufälligen ört lichen Aufenthaltsraum des Einzelnen handelt und um weiter nichts. (…) Reine Ansammlungen von Wohn- und Mietskasernen, weiter nichts. Wie bei derartiger Bedeutungslosigkeit
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