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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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100000 Einwohner hinzu und überschritt 1925 die Grenze von vier Millionen Menschen; noch 1871, zur Zeit der Gründung des deutschen Kaiserreiches, hatten auf der Fläche des späteren Groß-Berlins nur etwa 800000 Menschen gelebt.

    Mit der Gründung der Berliner Verkehrsbetriebe am 1. Januar 1929 entstand das größte kommunale Unternehmen weltweit; das leistungsfähigste Verkehrsnetz hatte Berlin ohnehin, dank der seit 1928 elektrifizierten S-Bahn sowie fünf Hoch- und Untergrundbahnen.
    Sogar die Wirtschaft boomte: 1925 zählte die Stadtverwaltung 297770 Betriebe mit insgesamt 1 768 421 fest angestellten Beschäftigten; hinzu kamen rund 500000 Selbstständige jeder Couleur, vom gefeierten Künstler bis zum Tagelöhner, sowie etwa 120 000 Hausangestellte. Eigentlich gab es nur zwei Wirtschaftsbereiche, die in Berlin nicht vertreten waren: der Bergbau und die Seeschifffahrt. Die Reichshauptstadt wurde zu Europas größtem Industriestandort, zum unangefochtenen Zentrum der Bekleidungswirtschaft und der Metall verarbeitenden Branchen. Metropole des deutschen Pressewesens war sie ohnehin; nur ein Blatt mit internationaler Ausstrahlung, die Fr ankfurter Zeitung, erschien nicht in der Reichshauptstadt. Mit einer halben Million Telefonanschlüssen und der damals ungeheuren Zahl von eineinviertel Millionen per Hand vermittelten Gesprächen pro Tag war Berlin die telefonierwütigste Stadt der Welt. 2
    Doch war nicht alles Gold in der deutschen Metropole, nicht einmal in den vermeintlich »Goldenen Zwanzigern«. Carl Zuckmayer über das Berlin jener Jahre: »Diese Stadt fraß Talente und menschliche Energien mit beispiellosem Heißhunger, um sie ebenso rasch zu verdauen, kleinzumahlen und wieder auszuspucken. Was immer in Deutschland nach oben strebte, saugte sie mit Tornado-Kräften in sich hinein, die Echten wie die Falschen, die Nullen wie die Treffer.« Für die Mehrheit der Berliner war der Alltag auch im glanzvollen Jahrfünft 1924 bis 1929 ein Kampf ums wirtschaftliche Überleben. Diese Not spiegelt sich in Romanen wie Berl in Alexanderplatz von Alfred Döblin ebenso wie in nüchternen Zahlen: Jeder zweite Hauptstädter lebte in dunklen, feuchten oder nicht beheizbaren Hinterhofzimmern.
    Gegenüber 1910, als 600000 Berliner zu fünft oder mehr in einem Raum unterkommen mussten und nur eines von drei Kindern im eigenen Bett schlafen konnte, hatten sich die Wohnverhältnisse nur geringfügig verbessert. Wohnungsmangel herrschte auch in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre. Und selbst auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms
    1927 waren offiziell 284000 Berliner als arbeitslos registriert – ungefähr jeder achte erwerbsfähige Einwohner. Wer älter war als 45 Jahre, hatte kaum mehr Chancen, wieder eingestellt zu werden.
    Im Herbst 1929 wurde offensichtlich, dass sich eine Stadt mit ständig neuen Schulden nicht auf Dauer finanzieren konnte. Im Dezember war die Stadtkasse de facto insolvent. Radikal und rücksichtslos mussten nun alle staatlichen Fürsorgeleistungen gekürzt werden, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit in Schwindel erregende Höhen zu steigen begann. Verelendung griff um sich. Und nicht einmal die vermeintliche Gewissheit, dass Berlin in den »Goldenen Zwanzigern« eine der unbestritten wichtigsten Metropolen der Welt gewesen sei, hält einer kritischen Überprüfung stand. Nimmt man die Zahl internationaler Konferenzen und Ausstellungen als Maßstab, so rangiert Berlin nur auf einem bescheidenden fünften Rang, weit abgeschlagen hinter Paris und London, den beiden einzigen wirklichen Weltstädten der Zwischenkriegszeit, und knapp geschlagen von Brüssel und Amsterdam. Legt man die Zahl der Besucher internationaler Ausstellungen und Messen im Jahr 1929 zugrunde, so erreichte die deutsche Hauptstadt sogar nur den sechsten Platz nach Paris, London, Mailand, New York und Brüssel. Kein einziger Weltkonzern hatte seine Zentrale in Berlin (die IG Farben, Deutschlands größtes und zeitweise das weltweit drittgrößte Unternehmen, baute seinen Sitz in Frankfurt am Main) und nur zwölf internationale Verbände saßen hier – 99 dagegen in Paris und 46 in London. Was spielte es da schon für eine Rolle, dass Berlin seit 1927 die nach der Einwohnerzahl drittgrößte Stadt der Welt war? 3
    Christopher Isherwood, dessen »Good Bye Berlin« die Vorlage zum Musical Cabaret wurde, fasste seine Eindrücke rückblickend so zusammen: »Berlin war: die Spannung, die Armut, die Wut, die Prostitution, die
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