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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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Zwanziger«, als die beste Zeit in der Geschichte Berlins: Nie zuvor und nie danach schien die Stadt so lebendig, so kosmopolitisch wie von Frühjahr 1924 bis zum Herbst 1929.
    »Natürlich waren die fabelhaften Zwanziger Jahre keine Erfindung Berlins oder der Berliner«, schreibt Peter de Mendelssohn, der damals als junger Journalist in der Reichshauptstadt sein Geld verdiente. Und weiter: »Auch London und New York kannten den Überschwang und die schöpferische Produktivität der ›Roaring Twenties‹; auch Paris wurde vom Schwung der Zwanziger Jahre mitgerissen, und gar aus Moskau kam eine wahre Sturzwelle des Neuen und Befeuernden. Dennoch waren die Zwanziger Jahre recht eigentlich das Jahrzehnt Berlins. Mehr als irgendeine andere Stadt war Berlin für sie geschaffen; die Zeit saß ihr wie angegossen.«
    Mendelssohns Urteil beruht auf der kulturellen Ausstrahlung der deutschen Hauptstadt. Berlin konnte in jenen Jahren als wichtigste Metropole der klassischen Musik gelten mit drei renommierten Opernensembles und mehr als zwanzig Berufsorchestern auf internationalem Niveau. Seine Theaterszene wuchs zur vielfältigsten und größten der Welt heran, mit insgesamt 35 000 Plätzen laut Baedeker von
    1927 stellte sie alle anderen Städte in den Schatten. Berlins Museen gehörten zu den wichtigsten Sammlungen überhaupt, deren Bedeutung ähnlich war wie die des Louvre in Paris und des British Museum in London.
    Auch der Expressionismus und neue Kunstbewegungen wie Dada konzentrierten sich in Berlin; die kulturellen Salons und zeitgenössischen Ausstellungen in der deutschen Hauptstadt waren ihren Pariser Vorbildern ebenbürtig. In Studios in Berlin und Babelsberg entstanden viele der wichtigsten Kinoproduktionen der Stummfilmzeit, darunter Fritz Langs Meisterwerk Metr opolis. In Berlin begannen die Co median Har monists ihren Siegeszug um die Welt.
    Vor allem aber Berlins Varietés, Cabarets und Revuebühnen wurden zum Inbegriff der »Goldenen Zwanziger« – und sind es bis heute geblieben. Nirgends wurde so freizügig, so öffentlich gefeiert und geliebt wie in der deutschen Hauptstadt. Legendär sind etwa die Auftritte der Tänzerin Josephine Baker, die manchmal nicht mehr als ein Röckchen aus Bananen trug. Sie verliebte sich ebenso in Berlin wie das Publikum in die Künstlerin; sie genoss eine »Pracht, wie Paris sie nicht kennt« und erinnerte sich: »Sie tragen mich auf ihren Schultern. Bei einer großen Tanzveranstaltung unterbrechen die Musiker ihr Spiel, wenn ich hereinkomme, stehen auf und begrüßen mich. In Berlin erhielt ich die größte Zahl von Geschenken.« Bakers Mischung aus Jazz und Erotik traf den Puls der Zeit. Es ist kein Zufall, dass Magnus Hirschfelds Sexualwissenschaftliches Institut und der in der Berlin ausgerichtete erste Kongress für Sexualkunde der Stadt auch auf dem Gebiet der Erotik weltweit eine führende Stellung verschafften.
    Der Ruf des Verruchten wie des Hochgeistigen hatte Folgen: Touristen strömten für damalige Verhältnisse massenhaft in die Metropole: 1,6 Millionen allein im Jahr 1929. Darunter waren viele, die monate-, manchmal jahrelang blieben wie die britischen Schriftsteller und bekennenden Homosexuellen W. H. Auden und Christopher Isherwood. Auden kam aus Paris in die »um so viel feindlichere und beunruhigendere Welt Berlins«, Isherwood fand in der Stadt jene Figuren auf dem Grat zwischen Genialität und Verwahrlosung, die er in seinen Romanen »Mr. Norris steigt um« und »Good bye Berlin« verewigte. Doch auch gefeierte Köpfe der bürgerlichen Gesellschaft wie Thomas Mann begeisterten sich für die deutsche Hauptstadt. In einem Gratulationsartikel zu Max Liebermanns 80.Geburtstag schrieb Mann 1927: »Berlin, das ist Energie, Intelligenz, Straffheit, Unsentimentalität, Unromantik, das Fehlen jeglicher falschen Ehrfurcht vor dem Vergangenen. Modernität als Zukünftigkeit, Kosmopolitismus als Abwesenheit germanischer Gemütsfeuchte.« 1
    Auch kommunalpolitisch hatte die deutsche Hauptstadt eine Vorbildrolle für andere Großstädte übernommen – mit der Zusammenlegung von acht bislang selbstständigen Städten, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken zu Groß-Berlin im Juni 1920. Keine andere Stadt der Welt wuchs damals schneller als Berlin – mit einer einzigen Ausnahme: der Megastadt New York, als Zentrum der weltgrößten Einwanderungsnation aber in gewisser Weise außer Konkurrenz. Die deutsche Hauptstadt gewann in den Zwanzigern statistisch jährlich rund
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