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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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eine besondere Verbundenheit mit einem solchen Ort entstehen soll, muß ein Rätsel sein.« Doch ging Hitler nicht so weit wie die nationalsozialistischen Ideologen Gottfried Feder und Alfred Rosenberg. Feder träumte zum Beispiel von einer »neuen Stadt« als der typisch deutschen, »arischen« Siedlungsform; Kleinstädte mit rund 20 000 Einwohnern, organisiert in Ortszellen zu je 3500 Mitgliedern, sollten den »Nachteilen« der Großstadt wie Kinderarmut, mangelnder Sesshaftigkeit, hohen Unfallzahlen und vom Staat zu versorgenden Kranken und Schwachen vorbeugen. Rosenberg nannte Berlin »riesig, grau, fremd« und wünschte sich so schnell wie möglich fort aus der Stadt. In seiner Zeit als Chefredakteur des Völkischen Beobachters erschien zum Beispiel ein Artikel über »Europas Wasserkopf«, der Berlin als »eine große Stadt da irgendwo im Norden« beschrieb. Übrigens war diese Form der Großstadtkritik keineswegs auf Blut-und-BodenRomantiker der NSDAP beschränkt; auch der viel bewunderte, wenngleich wenig gelesene und noch weniger verstandene Vordenker der rechtskonservativen Kulturkritik Oswald Spengler stimmte ein in den Kanon der Stadt-Verdammung: »Kein Elend, kein Zwang, selbst nicht die klare Einsicht in den Wahnsinn dieser Entwicklung [der Verstädterung] setzt die Anziehungskraft dieser dämonischen Gebilde herab. Das Rad des Schicksals rollt dem Ende zu; die Geburt der Stadt zieht ihren Tod nach sich.Anfang und Ende, Bauernhaus und Häuserblock verhalten sich wie Seele und Intelligenz, wie Blut und Stein.« Aber Spengler erkannte, im Gegensatz zu Feder, Rosenberg und anderen Ideologen, dass es kein Zurück geben konnte – auch wenn er das bedauerte. 7

    Hitler hatte Spenglers Hauptwerk kursorisch gelesen, aber nicht intensiv studiert. Ähnlichkeiten in ihren Äußerungen sind eher zurückzuführen auf dieselben Reservoirs von Weltdeutungen als auf eine direkte Rezeption. Auch bei Hitler kann man über die Jahre hinweg ein tief gespaltenes Verhältnis zur Stadt an sich erkennen; er sah in ihr allerdings anders als Spengler ein zwar ebenfalls nicht revidierbares, aber auch nicht ausschließlich negatives Phänomen. Die »hektische Verrücktheit der Stadt« Berlin Anfang der zwanziger Jahre, ihr »Leichtsinn und ihre Gier« waren keineswegs vor allem Nahrung für Hitlers »verfinstertes Temperament«, wie Joachim Fest schreibt. Charakteristisch ist gerade, dass die Beziehung Hitlers zur Reichshauptstadt tief gespalten war: Einerseits gehör te zu den Fundamenten seiner Weltanschauung die Ablehnung moderner, also städtischer Lebensformen; andererseits faszinierte ihn der Organismus der Metropolen im Allgemeinen und besonders Berlins. Es war daher keineswegs nur taktisch bedingt, dass Hitler seine Agitation nicht pauschal gegen Großstädte richtete. Natürlich hätte er damit kaum die anfangs vorwiegend in Städten, vor allem in München lebenden potenziellen Anhänger der NSDAP ansprechen können, wie er instinktiv erkannte – insofern spielte Taktik durchaus eine Rolle. Zugleich jedoch erkannte er die Bedeutung städtischer Zentren für eine Massenbewegung: »Die geopolitische Bedeutung eines zentralen Mittelpunktes kann dabei nicht überschätzt werden. Nur das Vorhandensein eines solchen mit dem magischen Zauber eines Mekka oder Rom umgebenen Ortes kann auf die Dauer einer Bewegung die Kraft schenken, die in der inneren Einheit und der Anerkennung einer diese Einheit repräsentierenden Spitze begründet liegt.« Deshalb modifizierte Hitler die allgemeine Großstadtkritik der äußersten Rechten zu einer gegen die vermeintlichen kulturellen und ökonomischen Auswirkungen der Urbanität gerichteten Polemik. So konnte er gegen Demokraten, gegen »Marxisten« und die angebliche »Verjudung« des Handels in den Städten hetzen, ohne seine Zuhörer allzu sehr vor den Kopf zu stoßen. 8
    Hitlers Beziehung zu Berlin blieb bis zu seinem Ende im Führerbunker gestört. Das ist allerdings die einzige Kontinuität; inhaltlich kann man in seinen über 28 Jahre hinweg dokumentierten Äußerungen über die Hauptstadt ganz allgemein, zu bestimmten Aspekten des Lebens in der Metropole und sogar zu einzelnen Bauwerken keine Stringenz feststellen: Mal lobte er, was er kurz zuvor noch verdammt hatte, und umgekehrt; dasselbe gilt übrigens abgeschwächt auch für seine »Lieblingsstadt» München. Zum Beispiel ließ Hitler seine private Tischrunde Ende Juli 1941 wissen, wenn Berlin im Krieg zerstört würde, wäre das
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