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Historical Weihnachtsband 1992

Historical Weihnachtsband 1992

Titel: Historical Weihnachtsband 1992
Autoren: ERIN YORKE , BRONWYN WILLIAMS , Maura Seger
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Tablett hin- und herzuschieben.
    Blair fühlte den forschenden Blick der Frau auf sich. Seit dem Tode des Laird und der Entlassung der meisten Dienstboten war der Haushalt zusammengeschrumpft, aber alles verlief in geregelten Bahnen. Auch wenn Blair kein überschüssiges Geld besaß, lebte sie mit den Angestellten doch in einer Atmosphäre der Wärme, Aufrichtigkeit und Zuneigung. Bis jetzt war sie immer offen und ehrlich gewesen, aber nun fiel es ihr schwer, die Geschichte des unerwarteten Besuchers zu gestehen. Sie fühlte sich schuldig, daß sie Mrs. Brown etwas verbarg, selbst wenn Verschweigen nicht gerade eine Lüge bedeutete. Sie gehörte zu jenen Menschen, die gewöhnlich sagten, was sie dachten. Das Erscheinen des Earl of Lindsay hatte die Lage jäh verändert. Um sich von den quälenden
    Gewissensbissen abzulenken, trug Blair rasch das Tablett mit den Marmeladentöpfen ins Speisezimmer und stellte es auf den großen Eßtisch, mitten unter die Schätze, die sie für die Ärmsten der Armen gesammelt hatte. So entging sie zwar der kritischen Aufmerksamkeit der Wirtschafterin, doch nicht dem inneren Aufruhr.
    Noch jetzt, Stunden, nachdem Lord Lindsay gegangen war, brannte ihr sein Kuß auf den Lippen, als hätte sie ihn eben erst bekommen. Die Kälte im ungeheizten Speisezimmer konnte die Flamme nicht löschen, die Camerons Mund entfacht hatte.
    Blair mochte es drehen und wenden, wie sie mochte, Cameron, Earl of Lindsay, ging ihr einfach nicht aus dem Sinn.
    Er hatte sich verändert. Jahrelang war Blair imstande gewesen, die schmerzliche Sehnsucht in Schranken zu halten, die seine Liebeserklärung und sein erster scheuer Kuß vor langer Zeit in ihr geweckt hatten. Heute jedoch war er ein anderer, nicht länger der Knabe, der schon in frühester Kindheit ihr Herz gewonnen hatte. Jetzt war er ein Mann. Etwas Gefahrliches haftete ihm an, etwas Wildes, Verwegenes, selbst in der häuslichen Umgebung von Duncan House. Und der neue Kuß hatte nichts mehr gemein gehabt mit dem, an den Blair sich erinnerte. An diesem Morgen war ihr, als hätte Cameron mit dem heißen Kuß ihre ganze Seele in Aufruhr versetzt und jeden Gedanken an die einst so sanfte und scheue Berührung ihrer Lippen ausgebrannt. Jahrelang hatte sie die Erinnerungen lebendig erhalten, doch nun wurden sie von einem Gefühl verdrängt, das sie Camerons Gegenwart und sein Verlangen noch immer spürbar empfinden ließ, obgleich er längst gegangen war.
    Zum Teufel mit ihm! dachte sie zornig. Wohin hatte sich die Beglückung, die Zufriedenheit verflüchtigt, die beim Anblick des Weihnachtsschmuckes und der halbgefüllten Körbe und beim Gedanken an die Freude, die diese kleinen Liebesgaben den Beschenkten bringen würde, die Eintönigkeit des Lebens verblassen ließ? Wohin Blair auch schaute, überall sah sie Cameron vor sich. Sein Bild verfolgte sie so sehr, daß alles
    Vorgefühl auf das Weihnachtsfest es nicht auszulöschen vermochte.
    Welche Frechheit, in ihr friedliches Dasein einzudringen! Wie konnte er es wagen, ihr die Feiertage so zu vergällen? Bisher hatte die vorweihnachtliche Zeit geholfen, das Ungemach der übrigen elf Monate vergessen zu machen. Und woher nahm er die Unverfrorenheit, Blair so zu küssen? Noch schlimmer war, daß er über sein Handeln nicht im geringsten erschüttert schien. Wahrscheinlich bedeutete ihm der Kuß nicht mehr als der andere, mit dem er Vorjahren sein falsches Versprechen besiegelt hatte. Sonst wäre er ganz gewiß heute morgen nicht so brüsk und wortlos gegangen.
    Warum kehrte er nicht endlich nach London zurück? Er sollte ihr für alles büßen, was durch seine Schuld in der Umgebung von Glenmuir geschehen war, vor allem auch für den Aufruhr, den er in ihrem bisher so stillen Dasein ausgelöst hatte.
    Hoffentlich suchte ihn der geheimnisvolle Wohltäter der Armen in diesem Jahr besonders arg heim! Es geschah ihm recht, wenn er beraubt und bestohlen wurde.
    Vielleicht zog er es dann vor, für immer nach England zu gehen und nie wieder einen Fuß auf schottischen Boden zu setzen. Schließlich hieß es ja, zur Weihnacht dürften selbst Erwachsene träumen und geheime Wünsche hegen, dachte Blair boshaft.
    Das rachsüchtige Gefühl wich schnell Schuldbewußtsein. Sie seufzte und beeilte sich, die Marmeladentöpfe zu beschriften. Was war nur aus dem Frieden auf Erden geworden, den das Christfest verhieß? Wieso war sie durch einen Kuß so aus der Fassung geraten? Doch wozu nach einer Antwort suchen? Während sie
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