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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
Autoren: Regine Kölpin
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ihren alten Brüdern gestorben wäre. Es lastet Schuld auf meinen gebrechlichen Schultern, und ich weiß von Schuld, die andere tragen müssen und deren Last ich ein Stück abnehmen muss, damit ich meine Verfehlungen ein wenig abarbeiten kann. Vor allem, weil ich nun die Bürde von jemandem trage, der mir nicht lieb ist. Im Gegenteil!«
    »Von wem sprichst du, Garbrand?«
    Der Mönch überhörte Jans Frage, sprach weiter wie in Trance. »Du musst nur eines tun für dein Glück, Jan. Rette Hiske, wenn es noch nicht zu spät ist. Rette sie und damit dich.« Garbrand hatte danach die Augen geschlossen und sich geweigert, auch nur noch ein Wort zu sprechen.
    Jan saß an Hiskes Küchentisch, den Kopf in die Hände gestützt. Er fühlte sich, als müsse er einen hohen Berg besteigen. Ohne Proviant, ohne Sicherung und ganz allein. Vor ihm türmten sich die Probleme, und er hatte keine Ahnung, wie er auch nur eines davon lösen sollte. Hiske war verschwunden, Garbrand wurde des Mordes bezichtigt, und das Marschenfieber wütete seit gestern erneut in der Neustadt. Es war wieder ein paar Grad wärmer geworden, und als habe die Krankheit nur auf ein Zeichen gewartet, war sie nun aus ihrem Versteck gekrochen und würde weiter Kinder und Alte töten. Er war nur froh, dass der Wortsammler sich von Tag zu Tag erholte, schon fast wieder der Alte war.
    Der Knabe war hinter ihn getreten, trampelte unruhig auf und ab. »Garbrand?«, fragte er.
    Jan wunderte sich, aber der Name des Mönchs war der einzige, den der Junge als solchen aussprach und für den er keine Umschreibung fand. Jan nahm die Hand des Knaben, zog ihn zu sich an den Tisch. »Man hat Garbrand in den Kerker geworfen. Sie denken, er hat den bösen Mann umgebracht.«
    Der Wortsammler hüpfte auf und nieder und stieß Laute aus, die Jan noch nie gehört hatte. Doch er verstand die Verzweiflung und Ohnmacht, die damit einhergingen. Als der Junge sich beruhigt hatte, sagte er: »Feuerweib.« Dabei umfasste er die Hände so, als halte er einen Stiel dazwischen und holte damit über dem Kopf aus. »Feuerweib«, wiederholte er.
    »Anneke?«, hakte Jan nach. Es gab in der Neustadt nur eine Frau, die so rote Haare hatte wie die Marketenderin.
    »Steinewerferin«, bestätigte der Knabe, rollte das Hemd hoch und zeigte auf die kleinen Narben, die seinen Arm verunstalteten.
    »Du warst in der Mordnacht mit Garbrand am Siel und hast Anneke dort gesehen?«
    Der Wortsammler nickte, fuhr mit der Zunge über die Lippen und fügte hinzu: »Und Satansmann und böser Mann.«
    »Da war noch ein Mann, außer euch und Friso van Heek?«
    Der Knabe begann zu brüllen, schlug mit dem Kopf. Jan hatte ihn also richtig verstanden. Er griff noch einmal nach dem Arm des Jungen. »Du bist also ins Moor geflohen, weil die Feuersfrau dir gedroht hat?«
    Der Wortsammler sackte in sich zusammen, und Jan kannte nun die Geschichte. »Ich geh zur Feuersfrau, und ich hole die Lebenspflückerin. Du bleibst hier und verriegelst die Tür, bis ich zurück bin, ist das klar?« Jan stürzte hinaus. Er wusste nicht, ob der Knabe ihn richtig verstanden hatte, aber er hatte keine Zeit, das zu überprüfen. Er musste zu Anneke. Der Mörderin Friso van Heeks.
    Garbrand lauschte dem stetigen Tropfen des Wassers, das von der Decke auf den Boden fiel. Es lullte ihn ein. Er wusste nicht, wohin sie ihn in den nächsten Tagen oder Stunden bringen würden; vermutlich in eine Stadt, die die höhere Gerichtsbarkeit hatte und befugt war, seinen sündigen Leib von der Erde zu jagen.
    Er hielt die Augen geschlossen, als er neben dem Geräusch der Wassertropfen ein weiteres wahrnahm. Erst dachte er, es sei das Fiepen der Ratten und Mäuse, doch dann erkannte er, dass es das Weinen eines Weibes war, das von immer wiederkehrenden Hilferufen unterbrochen wurde. Garbrand hielt die Luft an, wollte das Geräusch durch nichts anderes stören, und beim dritten Ruf war ihm klar, dass es Hiskes Stimme war, die durch die Kerkermauern bis zu ihm drang. War er schon auf dem Weg in die Unendlichkeit und sie holte ihn dort ab? Ihre Rufe aber waren zu nah, zu echt. »Hiske!«, rief er. »Hiske!«
    Es dauerte nicht lange, bis er eine Antwort erhielt. »Garbrand? Bist du das, Garbrand?«
    Es war kein Traum, er war noch nicht tot.
    Der Mönch richtete sich auf, schrie nach dem Wächter, der sich grinsend neben ihn stellte und wie aus Versehen auf seine Hand trat. Zwei Knochen splitterten dabei. »Na, Papist. Lust auf die Letzte Ölung? Die kriegst du
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