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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
Autoren: Regine Kölpin
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Wand. Ihre Flamme rang bereits ums Überleben. Hin und wieder leckte sie noch auf, haschte nach dem letzten Talg und kämpfte darum, nicht zu ersticken. Und doch war der Verfall unaufhaltsam.
    »Genau das blüht mir auch«, flüsterte Hiske. Ihre Stimme hallte gespenstisch von den Kerkerwänden wider. Sie würde ihr Leben hier unten lassen, verdursten, verfaulen, und vielleicht fand man eines Tages ihre Knochen und fragte sich, wer die arme Kreatur war, die hier ihr Leben gelassen hatte. Vielleicht karrte man ihre Überreste aber auch einfach nur weg und rollte ihren Schädel mit dem Fuß über den Boden, wie die Jungen es mit den kleinen Bällen aus Leder taten. Klaas Krommengas Folter würde Wirklichkeit werden, wenn auch anders, als er es sich erdacht hatte. Er, der ihren Nagel mit der Zange aus dem Bett gehoben hatte, er, der sie besteigen wollte wie ein Bulle die Kuh.
    Ihre Ehre war ihr wenigstens geblieben, denn der Scharfrichter lag seit Stunden reglos in der Ecke. Er war tot. Gerade, als er sie hatte nehmen wollen, war ein merkwürdiger Laut aus seiner Kehle gekommen, er war zurückgetorkelt und anschließend zusammengebrochen. Eine ganze Zeit hatte er sich in seinem Todeskampf gewunden, Schaum vor dem Mund gehabt und sich hin und her gewälzt. Hiskes Befürchtung, der Satan käme persönlich, um seinen Jünger ins Reich der Hölle zu bringen, bestätigte sich nicht. Klaas Krommenga war selbst für den Niedrigsten aller Niedrigsten offensichtlich nicht wichtig genug. Irgendwann war das Stöhnen verstummt, das Schlagen des Kopfes einem vorsichtigen Nicken gewichen, bis der ganze Körper in eine ewige Reglosigkeit übergegangen war.
    Seitdem herrschte Stille. Lediglich die ersten Ratten zeigten eine unverhohlene Neugierde an dem toten Körper, schnupperten daran, umtanzten ihn, wagten aber noch nicht, ihn in ihren Speiseplan einzubauen.
    »Ihr spürt noch die böse Seele«, flüsterte Hiske. »Erst wenn sie diese Hölle verlassen hat, werdet ihr auch seine Überreste vernichten.« So lange wollte sie sich still verhalten. Sie hatte bislang nicht an den Teufel und seine Brut geglaubt, aber die letzten Stunden mit Klaas Krommenga hatten sie davon überzeugt, dass das Böse, dem sie schon in Jever direkt in die Augen gesehen hatte, tatsächlich einen Namen, ja, sogar menschliche Körper hatte, derer es sich bediente.
    Warum der Satan den Scharfrichter allerdings daran gehindert hatte, seine Taten zu vollenden, sie vor ihrem Tod noch zu beschmutzen, dass sie keinem Schöpfer, niemandem mehr vors Angesicht hätte treten können, wusste Hiske nicht.
    Die alten Narben der Metallschellen waren aufgerissen, das herauslaufende Blut würde die Ratten bald auch auf sie aufmerksam machen. Hiske konnte sich nicht mehr lange wachhalten, denn die Erschöpfung ummantelte sie, zog sie immer tiefer. Der Schlaf würde sie gnädig in eine andere Ebene katapultieren, in der sie die Schmerzen und die Angst nicht mehr fühlte. Am besten wäre es, sie erwachte gar nicht mehr daraus und wechselte gleich in die schwarzen Arme des Todes hinüber. Doch vermutlich würde ihr diese Gnade nicht zuteilwerden, und ihr wäre es vergönnt, jeden Zahn der Ratten an ihrer Haut spüren, wenn sie sie langsam, Stück für Stück, zerlegten.
    Hiske legte den Kopf auf das feuchte Stroh, schloss die Augen und schlief ein.
    Garbrand bemerkte die Unruhe in der Straße bereits, als sie noch gar nicht da war. In den vielen Jahren als verfolgter und geknechteter Mensch waren seine Sinne für alle Veränderungen geschärft, sodass ihm winzige Dinge auffielen, die andere gar nicht erreichten. Ob es die Aufregung der Menschen in den Straßen war oder aber die veränderten Nuancen in ihren Stimmen, konnte er nicht sagen. Er wusste nur eines: Die Bedrohung nahte, und sie betraf ihn.
    Garbrand war ein alter Mann, hatte sich in seinem Leben stets gottgefällig verhalten und glaubte daran, dass der Schöpfer seinen Lohn wie ein Füllhorn über seinem Haupt leeren würde, wenn er es für angemessen hielt. Egal, was seine Diener auf Erden mit ihm taten.
    Er hatte sich für ein paar Stunden in seine Kammer in der Neustadt zurückgezogen, weil er etwas Ruhe brauchte und Jan Valkensteyn auf den Wortsammler achtgab. Als er die schweren Schritte vor der Tür hörte, wusste der Mönch, dass er das, was nun auf ihn zukam, nicht aufhalten konnte. Er hatte es von dem Moment an gewusst, als ihm Friso van Heek wieder begegnet war.
    Garbrand erhob sich von der Bettstatt, öffnete
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