Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
ich.
    »Habt ihr gestritten?«
    »Ich habe heute mit jedem Streit, den ich kenne.«
    Phyllis grinste. »Zum Glück kennst du mich nicht.« Sie drückte auf einen Knopf an dem Gerät, das neben der Anrichte stand, und versuchte, das Geratter zu übertönen. Sie sprach mit einer hohen Stimme, weil sie dachte, dass sie dann besser zu verstehen sei. Dass Granita herzustellen einfach viel Lärm mache, rief sie, die Maschine sei ein altes Modell, ungefähr aus der Zeit, in der man Granita erfunden hatte.
    Ich war erleichtert, als das Ding endlich schwieg.
    Phyllis stellte den Becher auf den Tisch und steckte einen Strohhalm hinein.
    »Beeren«, sagte sie.
    Der Hund kam zu mir und drehte den Kopf zum Tisch, als wolle er sagen: Los, komm, probier’s doch.
    Ich ging mit weichen Knien hinein. Ich fand, dass in den Ecken und unter dem Tisch kaum ein Unterschied zwischen dunkel und sehr dunkel war.
    »Und?«, sagte Phyllis, noch bevor ich mit den Lippen den Strohhalm zu finden versuchte.
    Erst spürte ich die Kälte vom Eis, dann kam der Geschmack, aber eigentlich stimmte das nicht ganz: Ich sog die Granita direkt in meine Speiseröhre. Das war nicht besonders klug. Meine Speiseröhre erschrak.
    Phyllis schüttelte Eiswürfel aus einem Plastikbehälter auf ein Handtuch und machte daraus einen Beutel.
    »Setz dich«, sagte sie.
    Viel Stuhl brauchte ich nicht. Mir reichte es, auf einer halben Pobacke zu sitzen. In der einen Hand hielt ich meinen Becher mit Granita, mit der anderen Hand drückte ich das Handtuch mit Eis gegen meine Stirn.
    Phyllis griff wieder nach dem Hammer.
    »Findest du es schlimm, wenn ich weiterarbeite?«
    Vor ihrer Nase und auf den Brettern um sie herum lagen hölzerne Dosen, hölzerne Kisten und Papierreste. An einem Gestell hingen Sägen und Scheren.
    Sie schlug sehr sicher einen Nagel in ein Brettchen. Eine ganze Weile blieb es still, bis auf ihr gelegentliches Hämmern und das Brummen des Ventilators auf dem Küchenschrank.
    Der Hund schaute zu, wie Phyllis ein Kästchen baute. Dann stellte er sich wieder zu mir. Er traute sich nicht, wirklich froh zu sein. Er wedelte nur sehr vorsichtig.
    Ich sagte zu Phyllis: »Du hast aber ein schönes Hobby.«
    Sie drehte sich um. »Hobby?« Sie grinste. »Hobby hört sich an, als würde man nur etwas tun, um die Zeit totzuschlagen. Man muss, wie soll ich es sagen, auch sich selbst verwirklichen.« Sie machte eine Bewegung auf ihr Herz und dann auf das Kistchen. »Das ist es, was ich am liebsten mache. Ich baue sie in allen Größen. Ich beklebe sie mit dem, was meine Mutter aus Abbruchhäusern mitbringt. Eine Rolle Tapete, Kassenbücher, ein Schmierheft, ein Schönschriftheft, Fotos, Briefe.«
    »Oh«, sagte ich. Ich war wirklich erstaunt.
    »Man sollte meinen, ein leer stehendes Haus sei leer, aber es ist niemals ganz leer. Meine Mutter findet immer noch was. Sie hat eine Nase dafür. Einmal hat sie sehr viel Geld unter einem Brett gefunden. Es war zu alt, um noch etwas damit zu bezahlen, und nicht alt genug, um etwas wert zu sein, aber es steckte in einer hübschen Keksdose. In einem anderen Haus hat sie hinter einem Sockel eine schöne alte Briefmarke gefunden. Die hat wirklich viel Geld gebracht. Und im letzten Winter hat sie eine zusammengerollte Zeichnung von einem Dodo hinter einer Wand gefunden, aber die habe ich nicht benutzt, um ein Kästchen damit zu bekleben, die haben wir eingerahmt. «
    Phyllis nickte zu der Wand hinter mir und bog die Lampe über ihrem Kopf um.
    Ich nahm das Eis von meiner Stirn und schaute mit ihr zu dem dicken Vogel auf der Zeichnung. Der Maler hatte jedes Federchen gezeichnet.
    »Fast wie echt«, sagte ich.
    Unter dem Tisch schnaufte der Hund.
    »Man könnte denken, dass der Vogel atmet.«
    »Das geht nicht«, antwortete Phyllis. »Der Dodo ist ausgestorben.« Sie lächelte mich an und bog die Lampe wieder zurück.
    Ich konnte sehen, dass ihr noch etwas auf der Zunge lag.
    »Findest du es schön, was ich mache?«
    Sie nahm ein Kästchen und zeigte es mir von allen Seiten. »Das ist mit Schrankpapier beklebt. Es ist so fröhlich, als hätte man Konfetti darübergestreut.«
    Ich nickte.
    »Das Papier hat Mama aus dem Haus einer Frau gerettet, die von einer Klippe gesprungen ist.«
    Ich fühlte, wie meine Augen groß wurden.
    Phyllis grinste. Sie hob die Hand hoch, um sie gleich wieder fallen zu lassen.
    »Beruhige dich«, sagte sie. »Sie ist gesprungen, aber nicht abgestürzt. Sie ist mit ihrer Jacke an einem Baum hängen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher