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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Durchzug.
    Anders als auf der Hinfahrt fuhren wir vorsichtiger über die Straßenschwellen. Ab und zu schaukelten wir hin und her. Dann stöhnte der Lieferwagen unter dem Gewicht des Metallhaufens auf der Ladefläche.
    Priit sagte etwas auf Alteisisch. Dass ich das Geschenk meiner Frau wirklich sehr gut festhielt.
    Ich sagte »Hach« und betrachtete das Kästchen auf meinem Schoß.
    Das Kästchen war neu und sauber. Es war nicht mit Schrankpapier beklebt, nicht mit einer Collage aus Fotos, nicht mit Tapete. Das Holz war dunkel und glatt. Die Nägel glänzten, als wären sie aus Silber. Sie standen in geraden Reihen, jeweils vier. Ich konnte das Hämmern hören, wenn ich die Nägel betrachtete.
    Ab und zu hob ich den Deckel und legte meine Hand in das Kästchen. Es war eine Art, es auch von innen festzuhalten. Ich hatte noch nie ein Geschenk bekommen, das jemand gemacht hatte, während ich dabei war.
    Das hatte ich auch zu Phyllis gesagt, als wir uns verabschiedeten.
    Sie hatte auf den Boden geschaut, weil sie nicht wollte, dass ich ihre Augen sah. An ihrer Nasenspitze hing eine Träne.
    Es dauerte lange, bis ich ihre Antwort verstand.
    »Ich habe noch nie ein Kästchen verschenkt.«
    Phyllis’ Mutter musste lachen. Sie sagte: »Oskar hat uns auch einiges geschenkt.«
    Ich bekam einen knallroten Kopf.
    »Och, du Armer«, sagte Phyllis’ Mutter.
    Nachdem wir uns verabschiedet hatten, blieben sie zu dritt in der Tür stehen. Der Lieferwagen fuhr in einem Bogen an ihnen vorbei, von ihnen fort, den holprigen Feldweg entlang, hinein in die Backsteinwüste. In Priits Rückspiegel erhaschte ich noch einen Blick auf sie. Es war, als würden sie mir alle drei nachwinken.
    Priit dachte, ich würde über den Witz lachen, den er gemacht hatte.
    Ich seufzte einmal, damit er wusste, dass ich über seine Witze vor allem seufzen musste.
    »Ach ja, ach ja«, sagte Petra. Sie tätschelte mein Knie, als würde sie sich für mich freuen, aber sie sagte nicht, warum.
    Die grünen Weiden links und rechts wurden zu Lagerhäusern aus Beton. Danach kamen die Gärten und die Vorgärten und die Häuser, die ich kannte. Am Schluss bogen wir in die Sandstraße ein. Ich deutete auf die Pomonastraße, als wir vorbeifuhren.
    »In dieser Straße wohne ich«, sagte ich. »Dort in dem Haus mit dem explodierten Vorgarten.«
    Das verstanden Priit und Petra nicht.
    Wir mussten mit dem Lieferwagen lange mitten in der Straße warten, bis wir zur ALTEISEN KG abbiegen konnten.
    Petra stieg aus, um das Tor aufzumachen. Ich bekam die Tür fast ins Gesicht, weil sie nicht daran gewöhnt war, dass jemand hinter ihr aus dem Lieferwagen stieg.
    Der Abschied war ein bisschen auf Alteisisch.
    Ich bedankte mich für die Fahrt, aber Priit hörte mich nicht. Petra hörte mich wohl. Sie drehte sich um. Während der Lieferwagen hineinfuhr, fing sie mit einer schönen Antwort an, aber sie konnte sich nicht zwischen den Wörtern entscheiden, die sie in ihrem Kopf hörte. Schließlich hob sie die Arme und sagte: »Ach«, so wie immer, wenn sie mit dem durcheinanderkam, was sie sagen wollte. Sie kniff mich in die Wange, und sie lächelte.
    »Gutes Glück«, sagte sie, bevor sie das Tor zumachte.

ZU HAUSE
    Es war ein seltsamer Anblick: In der ganzen Sandstraße war kein Verkehr. Der Wind hielt die Luft an. Ein paar Minuten lang war ich ganz allein auf der Straße, bis auf eine Taube, die durch die Gosse lief.
    Schließlich fuhr doch wieder ein Auto vorbei. Ich blieb eine Weile an der Ecke der Milchstraße stehen und trödelte. Ich konnte viele Richtungen einschlagen, aber das Dringendste waren ein sauberes Hemd und saubere Schuhe.
    Zu Hause glitzerte die Küche im Sonnenlicht. Der Boden glänzte, die Schränke glänzten. Ich traute meinen Augen nicht.
    Den Stapel Zeitungen auf dem Stuhl, der wie eine Pflanze jeden Tag höher gewachsen war, hatte Papa weggeräumt. Man konnte wieder auf dem Stuhl sitzen. Mitten auf dem Tisch stand eine große Vase mit Blumen. Es war ein zerzauster Strauß aus unserem Garten, aber immerhin.
    Ich lief lachend zu Papas Arbeitszimmer und wollte fragen, was passiert war. Wie viele Wichtel gekommen waren, um zu putzen, und ob sie bei der Arbeit gesungen und gepfiffen hatten?
    Die Tür stand offen, aber Papa war nicht da. Einen Moment hatte ich das Gefühl, wieder an der Ecke Milchstraße und Sandstraße zu stehen, in dem Moment, als kein Verkehr war, dass nichts passiert und ich allein war, nur mit der Taube in der Gosse.
    Ich spitzte meine Ohren,
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