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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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bis wieder Ordnung in mir herrschte.
    Ich trank die letzten Schlucke meines Shakes aus, stand entschlossen auf und machte mich auf den Weg zu den Undinen.
     
    Ich lief den Waldweg entlang, den ich bei meiner ersten Ankunft in der magischen Welt mit Neve gekommen war. Inzwischen war er mir lieb und vertraut geworden. Die Blüten in der Luft klangen, als hingen überall feine Windspiele an den Ästen. Kleine weiße Vögelchen schwirrten mir über dem Kopf und begleiteten mich zum See. Ich sah mir die Kräuter am Wegesrand näher an. Ob Ranja mir irgendwann verriet, welches Kraut das Geisterkraut war, von dem meine Mutter genommen hatte? Oder verschloss sie dieses Wissen seitdem und würde es nicht noch einmal preisgeben?
    Die Oberfläche des Wassers lag ohne jede Rührung da, ein riesiger glitzernder Spiegel, geschmückt mit vielen kleinen, weißen Blüten. So, wie immer. Vielleicht war das nach meinem Dom der schönste Ort, den ich kannte. Ich freute mich bereits wieder auf meine glitzernde Kirche in Miniaturausgabe, in der ich mein Tagebuch schreiben würde.
    Ich sah mich um. Niemand weit und breit zu sehen. Ich befand mich völlig allein am Strand. Die ersten Schritte in das kühle Nass kosteten mich wie immer ziemliche Überwindung. Aber seit ich wusste, dass ich im Wasser nicht mehr ersticken konnte, jagte es mir keine Angst mehr ein. Endlich konnte ich es genießen. Am Anfang spürte ich die unangenehme Kälte. Doch wenn ich hinein tauchte, verschmolz ich mit dem Element, schien mit ihm eins zu werden und genoss seine samtene Weichheit. Ich war das Wasser. Ich glitt dahin, wand und schlängelte mich mit einer Leichtigkeit, die ein wohliges Gefühl im ganzen Körper erzeugte. Das Atmen von Wasser kam mir sogar fließender und natürlicher vor, als das Atmen von Luft. Vor einiger Zeit hätte ich jeden verspottet, der behauptete, dass Wasser einmal mein Lieblingselement werden würde. Aber inzwischen war es das. Das Element meiner Mutter.
    Unter mir zogen wunderschön glitzernde Korallenriffe vorbei. Sie sahen nicht aus wie gewöhnliche Korallen, eher wie eine riesige Ansammlung von Rubinen, Topasen und Smaragden. Ein Funkeln unter einigen glänzenden langen Blättern erregte meine Aufmerksamkeit: Ich hatte eine besonders schöne Murmel entdeckt, die zwischen weißem Gestein im Sand ruhte. Ich tauchte hinab und holte sie mir. Die würde ich Pio bringen, als Dank für den Brief von meiner Mutter. In diesem Moment empfand ich eine besondere, fast sentimentale Dankbarkeit – für das Leben, für das, was ich war, was ich erleben durfte und was ich werden würde. Auch, wenn so viel Schmerz dazugehört hatte. So war das Leben eben. Ein kompliziertes Netz aus Liebe und Schmerz.
    Die wunderschöne Unterwasserlandschaft, durch die ich schwamm, erinnerte mich an meinen Traum. Der Traum, an den ich öfter dachte und den ich wohl nie vergessen würde. Er war das Idealbild für mein Leben. Der Traum, in dem ich mit dem Jungen dahinglitt und dieses Vibrieren zwischen uns war, das Gefühl von tiefer, umfassender Liebe. Ich hatte keinen Zweifel mehr, wer es war. Es war Tim. Es war nie jemand anderes gewesen. Ich wünschte mir, dass der Traum wahr werden könnte, wenn ich nur oft genug daran dachte.
    Das Wasser veränderte in Abständen unmerklich seine Farbe, von tiefblau auf lagunengrün, auf himmelblau und dann wieder lindfarben, als wären am Grund der magischen Wasser unzählige LED-Lämpchen angebracht, die ihre Farbe wechseln konnten. Ich wusste nicht, wie lange ich schon unterwegs war. Von den Undinen war nirgends eine Spur zu entdecken. Dabei hatte ich die ganze Zeit fest an sie gedacht, genau so hatten wir damals den Durchgang gefunden, als ich mit Atropa auf der Flucht war. Die Gedanken übertrugen sich auf das Wasser und eröffneten den Weg, erklärte Atropa mir später. Deshalb erfuhren auch die Undinen davon, wann immer jemand auf dem Weg zu den Durchgängen war. Wahrscheinlich war das die Lösung, schoss es mir durch den Kopf: ich durfte nicht nur an die Undinen denken, sondern musste mir den Durchgang zum Ziel setzen.
    Kurze Zeit später entdeckte ich das blaue Licht vor mir, als flösse all das Wasser auf einen tiefblauen Himmel zu und vereine sich in diesem Punkt. In die Wassermassen um mich kam eine leichte Bewegung. Ich spürte, ich war nicht mehr allein. Dann sah ich die Schatten der ersten Undinen.
    Wie beim ersten Mal schwammen sie erst mit großem Abstand, dann immer näher neben mir her, während ihre
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