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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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Leo ausradiert. Schon wieder waren meine Gedanken bei Leo. Ich räusperte mich, als könnte ich ihn wegräuspern wie einen Halsfrosch.
    Ich wollte noch eine Weile bei Neve wohnen bleiben. Zwei bis drei Wochen. Vielleicht konnte ich mir dann vorstellen, allein zu leben und mir mein eigenes Reich zu schaffen. Zu spät registrierte ich, dass hinter mir Schritte waren. Dann hörte ich meinen Namen.
    „Neve.“
    Ein leises Beben ging durch meine Brust. Es war die Stimme von Leo. Ich drehte mich nicht um, ging instinktiv schneller. Ich konnte einen Zauber anwenden, mich als Windhauch verdünnisieren.
    „Neve, bleib stehen. Ich muss mit dir reden.“
    Regel die Sache. Jetzt! Dann kannst du ab morgen mit den anderen entspannt in das Café gehen , befahl ein Teil in mir, der, der immer die Führung übernahm, wenn ich mich einer Situation nicht gewachsen fühlte und mich einfach verdrücken wollte. Das war eine typische Eigenschaft von Gregor. Schon wieder ein Gedanke an eine Person, an die ich jetzt nicht denken wollte.
    Jeder hat was Gutes zu bieten. Jeder. Auch wenn er noch so schlechte Seiten hat. J etzt sprach ein anderer Teil in mir. Der, der mir manchmal einfach zu versöhnlich war.
    Ich blieb stehen und drehte mich um. Ich schaute in Leos Augen und erschrak, wie traurig sie aussahen. Ich hatte sein strahlend schönes Aussehen erwartet. Aber ich sah kein Strahlen. Leos Schultern hingen herab, er wirkte ganz eingefallen und grau. Ich hatte bisher nur an seine Verfehlungen gedacht, aber nicht daran, dass auch er enttäuscht worden war. Sein Weltbild war zusammengebrochen. Seine Vision war zerstört. Seine Vaterfigur war ihm genommen worden. Warum hatte er sich überhaupt so an Jerome gehängt? Mir fiel auf, dass ich nur sehr wenig von seiner Geschichte wusste. Wie er da so stand, gebeugt wie ein alter Mann und Reue ausstrahlend, vermischt mit dem Bewusstsein, dass er nichts mehr wieder gut machen konnte, fühlte ich statt Verachtung plötzlich Mitleid.
    Und statt Wut auf einmal irgendwie Verständnis. Vielleicht war er, der der Nachkomme meines Vaters sein wollte, an einen Punkt gekommen, an den mein Vater nie kommen konnte. Vielleicht war er ganz unten angelangt und hatte deshalb eine Chance. Die zweite Chance, die ihm der Rat gegeben hatte. Ich holte tief Luft, obwohl ich noch gar nicht wusste, was ich sagen wollte.
    „Sag nichts. Ich weiß, was du denkst. Du denkst, ich habe dir alles nur vorgespielt, um der Rolle gerecht zu werden, die Jerome für mich vorgesehen hatte und um mehr zu sein, als ich eigentlich bin.“
    Er bemühte sich um Festigkeit in seiner Stimme. Aber sie flatterte und ließ keinen Zweifel offen, wie mitgenommen er war.
    „Das denke ich nicht.“
    „Es stimmt aber, zumindest für den Anfang. Ich war eigentlich mit Kim zusammen, aber …“
    „Ich kenne die Geschichte …“, sagte ich ganz ruhig, wobei ich mir Ranjas weise Gelassenheit zum Vorbild nahm.
    Er war irritiert darüber, dass ich Bescheid wusste und trotzdem so ruhig blieb. Sein Gesichtsausdruck wurde noch trauriger. Vielleicht dachte er, dass ich ihn genauso benutzt hatte. Aber das hieß …
    „ … dann habe ich mich in dich verliebt.“
    Leo sah mir in die Augen und ich sah, dass er die Wahrheit sagte. Sein Geständnis gab mir einen kleinen Stromschlag. Ich schlug die Augen nieder und suchte nach einer passenden Erwiderung.
     „Ich weiß, dass wir keine Chance haben. Du gehörst zu Tim, auch wenn …“
    Er brach den Satz an.
    „Es ist mir nur wichtig, dass du weißt: ich habe dich nicht die ganze Zeit belogen und betrogen.“
    Ich wollte ihm eigentlich dasselbe sagen. Aber ich wollte ihn auch nicht so einfach davon kommen lassen.
    „Du wolltest mich gegen meinen Willen wegbringen, als ihr mir zu Hause aufgelauert habt. Ist das etwa Liebe?“
    Ich spürte wieder die tief sitzende Wut in mir aufsteigen und machte eine wegwerfende Geste. Vielleicht war er nur deshalb so reumütig, weil ihm jede Grundlage genommen war und er nur einen neuen Weg suchte, um sich in meinem Dunstkreis bewegen zu dürfen. Ich vergaß immer wieder, was für eine Karriere mir bevorstand. Aber Leos Antwort war überraschend und aufrichtig:
    „Nein, das war keine Liebe. Da war es Rache. Weil du mich zurück gestoßen hattest. Weil ein anderer besser als ich sein sollte. Weil … Ich bin vielleicht kein guter Mensch. Ich bin nicht sicher, ob ich die Chance verdient habe, die mir der Rat noch einmal gegeben hat. Aber als wir bei mir waren und ich das
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