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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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seine Rede mit dem leidenschaftlichen Wunsch, unseren Nachkommen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen und bedankte sich besonders bei seiner Frau und seiner Tochter, die all den Stress der letzten drei Jahre, in denen er dieses Projekt gestemmt hatte, mit ihm durchgestanden hatten. Delia ergriff die Gelegenheit, drängelte sich an dem regierenden Bürgermeister vorbei und warf sich in die Arme von Gregor, während das Blitzlichtgewitter noch einmal losfeuerte. Ich sah unbeteiligt aus dem Fenster, während ich spürte, dass einige Reporter nervös ihre Köpfe reckten, um „die Tochter“ ausfindig zu machen. In mir kribbelte eine unerträgliche Aufregung und mein Herz schlug wild. Ich hasste öffentliche Auftritte und hoffte inständig, dass kein Idiot, der mich irgendwie kannte, gleich mit dem Finger auf mich zeigte. Aber zum Glück geschah das nicht. Es folgte ein rauschender Applaus. Ein großer roter Schalter, der auf der Bühne installiert war, wurde symbolisch von null auf eins gestellt und danach wurden Hände geschüttelt. Auch ich klatschte und konnte mich der allgemeinen Euphorie nicht entziehen. Dabei nahm ich mir fest vor, meinen Vater noch einmal genau nach seinem neuen Prinzip auszufragen. Das würde ihn glücklich machen, besonders, weil er davon träumte, dass ich eine durchsetzungsstarke Anwältin in seinem Unternehmen werden würde. Für diesen Moment fand ich die Vorstellung zum ersten Mal reizvoll, obwohl ich mir bisher nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als Jura zu studieren.
     
    Der Saal beruhigte sich wieder etwas. Jetzt durfte die Presse Fragen stellen. Ich sah mich nach einem Glas Wasser oder vielleicht sogar Sekt um, da traf mich eine wohl bekannte Stimme aus dem Mikrofon wie ein Blitz.
    „Schon rein philosophisch gibt es doch bei jedem Prozess einer Umwandlung Rückstände oder Abfall. Sie haben das Prinzip sehr allgemein erklärt. Könnten Sie bitte noch einmal nachvollziehbar machen, warum in Ihrem Verfahren am Ende hundertprozentig reines Wasser steht?“
    Mein Vater atmete hörbar durch. Das machte er immer, wenn er genervt war, weil ihn etwas langweilte. Dann setzte er zu einer Antwort an. Ich suchte nach der Herkunft der Stimme. Eine Frau neben mir erhob sich von einem Stuhl. Ich musste so dringend herausfinden, ob ich mit der Vermutung über den Besitzer der Stimme richtig lag, dass ich meine Schüchternheit vergaß und mich kurz auf den frei gewordenen Stuhl stellte, um einen Überblick zu haben. Die Frau sah mich entgeistert an. Hinter mir murmelten Leute. Ich wich allen Blicken aus, als ich wieder hinunterstieg. Ich hatte ihn entdeckt, die blonden Haare und größer als die meisten, in der ersten Reihe mit einer Kamera um den Hals und neben einem Typen, der mit einem Mikrophon hantierte. Was um alles in der Welt hatte Tim hier zu suchen? Noch dazu mit einer Zeitung? Ich kapierte überhaupt nichts. Ich versuchte, dem zu folgen, was mein Vater als Antwort gab und musste feststellen, dass er irgendwie nicht auf den Punkt kam. Zwischendurch kam von Tim der unverkennbar aggressive Einwurf:
    „Herr Wende, Sie beantworten meine Frage nicht!“
    Was bildete er sich nur ein? Ein Ingenieur sprang meinem Vater zur Seite. Dann ergriff ein zweiter das Wort. Ich spürte eine ungeheure Wut in mir aufsteigen. Wie konnte ein dahergelaufener und extrem aufgeblasener Abiturient hierher kommen und den Ehrentag meines Vaters stören?! Ich war fassungslos. Mein Vater und sein Team schienen die Frage irgendwie beantwortet zu haben. Gregor strahlte nach wie vor Souveränität und Gelassenheit aus. Tim schien ihn mit seiner provokanten Art nicht wirklich aus dem Konzept gebracht zu haben. Im weiteren Verlauf merkte ich, dass auch andere Journalisten sehr provokant in ihrer Art wirkten, auch wenn die Fragen belanglos waren. Alles normal. Schließlich brauchten sie Konflikte und Probleme für ihre Sendungen und Blätter. Sonst kaufte keiner mehr Zeitungen. Trotzdem, das waren Profis, während so einer wie Tim sich nur aufspielte. In mir rasten die Gedanken. Was hatte er hier zu suchen? Wusste er, dass Gregor mein Vater war? Hatte er mich deshalb etwa beim Dauerlauf angelabert? Aber woher sollte er das wissen? Ich war zwischen den Impulsen, ihm entweder sofort an die Gurgel zu springen oder mich schnellstmöglich vor ihm zu verstecken, hin und hergerissen.
    Der offizielle Teil der Veranstaltung wurde für beendet erklärt und die Gäste zum Buffet gebeten. Gleich würde Delia mich aufsuchen und dann
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