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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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wir in Form kämen und er würde schon dafür sorgen, brüllte er und klatschte dazu in die Hände.
     
    Luisa und ich ließen den Anderen den Vortritt und trotteten zuletzt aus der Halle. Ich nahm meinen langen dünnen Zopf und knotete ihn mit dem Haargummi hoch, damit er mich beim Laufen nicht störte. Natürlich ließ Luisa mich bereits nach den ersten Metern hinter sich. Sie war sportlicher, kräftiger, während ich wie immer besondere Anstrengungen unternehmen musste, meine Füße der Schwerkraft zu entreißen und nicht ganz so auszusehen, als wären meine Beine chinesische Stäbchen, mit denen ich nicht umgehen konnte. Der Vorteil war immerhin, dass ich in der Tat nicht wusste, wie Cellulitis überhaupt aussah.
    …Und dann ragte ER neben mir auf, verlangsamte sogar seinen Schritt und richtete das Wort an mich:
    „Na, geht’s Dir wieder besser?“
    Ich spürte seinen Blick auf mir und begann mich sofort intensiv für den Schotter unter meinen Füßen zu interessieren. Mein Herz ruckte und das beim Laufen. Ein Stich … noch ein Stich. Fing so ein Herzinfarkt an? Verhalte dich einfach ganz normal, Kira. Los! Ich riss meinen Blick vom Boden, fixierte Luisas Rücken vor mir und rief laut und deutlich: „Klar! Ich …“ Mehr konnte ich nicht sagen, ich war zu sehr außer Atem. Also drehte ich mich zu ihm und versuchte ein unverfängliches Lächeln. Aber das war ein Fehler. Ich hatte es geahnt. Seine Augen ... Wie er mich ansah! Ich blieb stehen und er auch und wir erforschten uns gegenseitig, als müssten wir uns irgendwie wiedererkennen, während alle anderen wie Statisten an uns vorbeirauschten. Zumindest war das meine Fassung von der Situation. Oh Mann, dabei war er sicher nur nett. Diese ganz fiese Nummer von „Nett“, wenn Stars Autogramme verteilten und Fans dachten, sie wären persönlich gemeint, wenn charismatische Männer Mauerblümchen zuvorkommend behandelten, weil das unverfänglich war, wenn Supermodels Behinderte besuchten …
     „Ich hatte mir schon Sorgen gemacht …“, flüsterte er fast und sah mich jetzt ernst an. Ich hielt es nicht aus. Ich rannte einfach los, weg von ihm. Ich hoffte, wir hatten nicht zu lange da gestanden. Wenn auch sonst niemand der Situation Bedeutung beigemessen hatte, Luisa war bestimmt im Bilde. Ich rannte, rannte und war schon in der vierten Runde, bis ich einige lachen hörte und Herr Falke mich erstaunt zurückrief:
    „Ich glaub‘s ja nicht, Kira, hast du in den Ferien etwa trainiert?“
    Blöder Affe. Jetzt nur nicht die Blöße geben. Ich winkte ab und tat so, als wäre ich weiter gerannt, weil ich dringend in die Halle aufs Klo musste. Ich stürmte in den Waschraum, beugte mich über die Waschrinne und versuchte, zu Atem zu kommen. Ich trank ein paar Schluck aus dem Wasserhahn und vermied es, in den Spiegel zu schauen. Ich wollte auf keinen Fall das blasse Mädchen mit dem aschblonden, strähnigen Haar und dem spitzen Gesicht sehen, dass sich schon wieder in eine peinliche Situation mit dem neuen Macho der Schule begeben hatte. Am liebsten wäre ich jetzt einfach hiergeblieben oder hätte meine Sachen geschnappt und wär abgehauen. Aber das ging nicht. Das hatte ich gestern schon durch. Ich musste wieder runter, mich ganz normal verhalten. Wütend hieb ich mit meinen schwachen Fäusten gegen die geflieste Wand hinter mir. Dieser Typ sollte dahin verschwinden, wo er herkam. Es war auch so schon ätzend genug, das letzte Schuljahr noch durchstehen zu müssen. Ich versuchte, ruhig zu atmen. Tief einatmen und langsam wieder aus. Die gekachelte Wand kühlte, als ich mich dagegen lehnte. Zum Glück bekam ich diesmal nicht gleich Fieber. Ich hielt die Hände vor das Gesicht, um mich zu beruhigen und bekam den nächsten Schreck. Es kam mir so vor, als würde ich mich durch meine Hände hindurch wie durch einen Schleier im Spiegel gegenüber sehen. Ich hatte die Augen offen, starrte durch meine Handflächen und sah mich schemenhaft im Spiegel gegenüber. Oh Gott. Nahm meine Spiegelphobie etwa neue Formen an? Ich drehte mich weg und verließ fluchtartig den Raum. Ein schauriger Gedanke ergriff von mir Besitz, während ich die Treppen hinunter rannte. Das konnten auch alles die ersten Zeichen von Paranoia und Wahnsinn sein. Über diese Krankheiten hatte mich Luisa mit ihrer Leidenschaft für das Thema bereits ausführlich ins Bild gesetzt.
    „Kira!“, rief Luisa aus der Halle in den Flur und durchbrach meine Angstgedanken, die wie bösartige Schlingpflanzen Besitz
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