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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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nicht auf. Ich ließ sie in der Verpackung und zog ein weißes langärmeliges T-Shirt an. Weiß war eigentlich nicht meine Farbe, aber für einen festlichen Anlass war es okay und tausend Mal besser als all die fürchterlichen Festkleider, die Frauen zu besonderen Anlässen glaubten, anziehen zu müssen. Dabei waren die meisten Modelle eine Strafe für die Augen, selbst bei den Stars in Hollywood. Ich würde nie begreifen, dass die das nicht merkten!
    Ganz schwarz wäre mir natürlich lieber gewesen. Doch das hätte ich nicht durchgebracht, das war Trauerkleidung. Außerdem wäre Gregor enttäuscht gewesen und das wollte ich nicht. Ich hatte sogar versucht, etwas mit meinen Haaren anzustellen, weil mir Luisas Ansprache doch nicht aus dem Kopf ging. Delia strahlte über das ganze Gesicht, als sie die zwei schwarzbraun glänzenden Haarspangen an meiner linken Schläfe entdeckte. Und ich gab nach, als sie mir die Haarspitzen abschneiden wollte. Gregor kam in seinem Armani-Anzug aus dem Bad stolziert und musterte mich von oben bis unten. Er sagte nichts, aber er schien zufrieden, dass alles in seinem Sinne lief. Heute war sein großer Tag. Es gab einen Pressempfang für seine neu gebaute Kläranlage, die in den nächsten Wochen die Aufbereitung des Berliner Wassers im Norden übernehmen würde. Das Besondere war, dass er dafür ein Prinzip entwickelt hatte, das als Weltneuheit galt und in aller Munde war. Nach dem Klärprozess würde es keinerlei Rückstände von Phosphor oder Ammoniumstickstoff mehr im gereinigten Wasser geben. Das hieß, das geklärte Wasser, was in die Spree und die Havel zurückgeleitet wurde, würde klar und sauber wie aus einem Schweizer Bergsee sein. Bisher wurde das Prinzip im kleineren Rahmen – erst ein Dorf, dann eine Ortschaft - erfolgreich getestet. Mit der Wasserreinigung des Berliner Nordens verwirklichte H2Optimal das erste große Projekt. Bald würde man in Spree und Havel baden gehen können wie in einem Pool und auf dem Grund eine Artenvielfalt von Fischen beobachten können wie in einem Aquarium, war Gregors Lieblingsspruch.
    Bis heute hatte mich das alles nicht wirklich interessiert. Ich schaltete ab, wenn jemand zu viel Gewese um etwas machte. Doch als ich jetzt in diesem gigantischen Konferenzraum stand mit Panoramafenstern bis zum Himmel und dahinter ein abenteuerliches Gewirr von in der Sonne silbern glänzenden Rohren, die sich wie ein Netz um zwölf sechzig Meter hohe stählerne Aufbereitungstürme wanden, ergriff mich Ehrfurcht. Das alles hatte mein Vater erschaffen! Und es war nicht nur die wie aus einem Science- Fiction anmutende Anlage, sondern auch, was sie bedeutete. Im Alltag nahm ich meinen Vater als einen mit einer äußerst starken Eigendrehung versehenen, egoistischen und machthungrigen Menschen wahr, der sich für nichts interessierte, was nicht mit ihm selbst zu tun hatte. Doch jetzt hatte ich das Gefühl, dass das, was so ein Mensch erschuf, den Charakter rechtfertigte, der wohl nötig war, um sich durchzusetzen. Eine Welle von Stolz und euphorischen Gefühlen erfasste mich. Mein Vater hatte nicht nur einen Apfelgriepsch in eine Biomülltonne geworfen und sich dabei als umweltbewusst erwiesen. Mein Vater gab der Welt das, was sie am meisten brauchte: sauberes Wasser!
     
    Meine Mutter stand in ihrem engen roten Kleid am Rand der Tribüne, und hoffte wahrscheinlich, auf eins der Fotos zu kommen, die von diversen Zeitungsfotografen geschossen wurden. Ich stand abseits auf einem Podest, das im Kreis um den Saal führte, damit die Gäste in den hinteren Reihen auch etwas sehen konnten. Mein Vater wirkte klein in diesem riesigen Raum und doch stark und groß, als seine Worte tief und voll durch das Mikrofon kamen. In einfachen Sätzen versuchte er das komplexe Prinzip der quantenmechanisch-kaskadischen Wasseraufbereitung zu erläutern, redete von der Robotik des Systems und dass man das gesamte Wasser durch die Anlage schleusen und hundertprozentig reinigen konnte, ohne Rückstände, ohne Nachteile, ohne die Umwelt damit im Geringsten zu behelligen. Dann lenkte er die Blicke auf die Rohrlandschaft vor den Fenstern und entlockte der Menge ein bewunderndes „Oh“, als er die Zahl von tausend Kilometern nannte, die die Rohre maßen, würde man sie in einer Linie aneinanderreihen. Irgendein Spaßvogel gab den Einwurf, wann denn die „Enterprise“ abheben würde und alle lachten. Auf dem Gesicht meiner Mutter war ein Dauerstrahlen festgefroren. Mein Vater beschloss
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