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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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einen Blick in die Runde. Von Tim nichts zu sehen. „Auf dich, Gregor!“, stieß ich hervor und kippte das ganze Glas in einem Zug hinunter. Gregor sah mich zuerst erstaunt an, dann mischte sich ein Ausdruck von Triumph in seine Augen und er tat dasselbe.
    ***
    D ie Ränder des Turms blinken grell in der Sonne. Das Wasser ist unglaublich klar und tief. Ich kann ohne Probleme die sechzig Meter bis hinunter zum Grund sehen. Er besteht jedoch nicht wie erwartet aus Beton, sondern aus wunderschönen Korallen, die in allen Farben schimmern und das indigoblaue Himmelszelt spiegeln, was sich über uns spannt. Wir tollen durch das Wasser. Der Junge mit den grünen Augen spritzt mich nass und ich spritze ihn nass. Immer wieder streicht er sich eine lange, dunkle Strähne aus dem Gesicht. Er sieht umwerfend gut aus. Mühelos bewegen wir uns auf der Oberfläche. Wir müssen uns überhaupt nicht anstrengen. Dann kommt er auf mich zu geschwommen, umfasst meine Taille und legt meinen Arm um seine Taille. Wir liegen im Wasser wie auf einer Wiese aus Korallen. Er wendet mir sein Gesicht zu. Auf einmal ist es eine blonde Strähne, die quer über seiner Stirn liegt. Tim. Als ich kapiere, in wessen Armen ich liege und dass er mich küssen will, rast mir der Schreck durch alle Glieder und wirbelt mich hoch wie aus nicht messbarer Tiefe …
     
    Ich saß aufrecht wie eine Kerze in meinem Bett. Mein Atem ging stoßweise. Es dauerte einen Moment, bis ich meine Orientierung wiederhatte. Ich war Zuhause. Es war nur ein Traum. Mein Wecker zeigte halb zwei in der Nacht. Gut, dass solche Träume niemand sehen konnte. Mein Shirt klebte am Rücken. Ich war völlig verschwitzt. Meine Stirn fühlte sich heiß an. Ich brauchte Wasser im Gesicht und eine Aspirin. Ich wandte mich zur Seite, um meine Nachttischlampe anzuknipsen und erstarrte. Da war Etwas! Hinter mir. Ich spürte es genau. Es war wieder da, dasselbe Gefühl wie in der Aufbereitungsanlage. Ich drehte mich zur Seite, aber es schien sich genauso schnell zu bewegen und blieb am Rand des Gesichtsfeldes. Es war groß und dunkel wie ein Schatten und ohne Augen. Aber es beobachtete mich. Panisch tastete ich nach meiner Nachttischlampe. Dabei musste ich geschrien haben, denn plötzlich flog meine Tür auf und Delia stand da, im rosa Negligé, ihre Schlafmaske um den Hals und ohne Plüsch-Pantöffelchen.
    „Kira, was ist los?“ Sie kam auf mich zu und griff an meine Stirn.
    „Mein Gott, du glühst ja!“ Sie knipste das Licht an, rannte hektisch in mein Bad, als ginge es darum, mein Leben zu retten und löste zwei Aspirin in einem Glas Wasser auf.
    „Hier trink das. Hast dich wohl erkältet?!“
    Gierig kippte ich den Inhalt des Glases hinunter und sah um mich, erforschte alle Ecken und Nischen in meinem Zimmer. Aber da war nichts. Keine unheimlichen Schattengebilde, alles wieder normal, als nur Einbildung. Delia beobachtete mich besorgt.
    „Vielleicht sollte ich gleich Dr. Pötsch …“
    Ja, vielleicht hatte ich diesmal wirklich eine ernstere Krankheit. Aber Delia rief immer gleich Dr. Pötsch, weil sie schon bei dem kleinsten Niesen hilflos war. Als ich klein war, hatte Dr. Pötsch meine Zunge untersucht, weil sie blau von Blaubeeren gewesen war, meine Mückenstiche, weil ich sie aufgekratzt hatte und meinen Hals, weil ich nach zu langem Schreien heiser geworden war. Irgendwann hatte ich begriffen, dass Delia Angst vor mir hatte, Angst vor so einem befremdlichen Wesen wie einem Kind, bei dem man dauernd was falsch machen konnte.
    „Nein, ich hab nur schlecht geträumt, das wird schon wieder …“, versuchte ich Delia zu beruhigen.
    „Aber du hast hohes Fieber!“
    Ich spürte, wie der Hitzepegel erstaunlich schnell absank, genau wie beim ersten Mal in der Schule.
    „Ich glaub, das ist gar kein Fieber, nur ein Hitzestau …“ Delia hielt nochmals die Hand gegen meine Stirn und sah mich verwirrt an. Sie fühlte sich fast wieder normal an. Dann befühlte sie mein Federbett.
    „Du brauchst eine dünnere Decke.“ Sie begann den Bezug abzuziehen, um den dickeren Teil meiner Doppeldaunendecke abzuknöpfen. Ich ließ sie gewähren, obwohl ich die Decke bislang gebraucht hatte, weil ich nachts immer fror. Ich wollte nicht, dass sie ging. Ich wünschte mir auf einmal, dass sie bei mir schlafen würde, aber das hatte sie nicht mal getan, als ich noch ein Kleinkind war. Delia war fertig mit der Decke und breitete sie über mir aus. Sie fühlte noch einmal meine Stirn, die jetzt wieder
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