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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe
Autoren: Daphne Unruh
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Vater in Ruhe zu lassen und vor allem mich und überhaupt! Ich schaute noch einmal zu ihm rüber, aber Nichts. Die ganze Stunde hatte er mich angestarrt und plötzlich war ich Luft. Der Reißverschluss meiner Federtasche riss aus, als ich versuchte, sie zuzumachen. Ich war wirklich geladen.
    Zum Glück fand sich nach dem Unterricht genau die Situation, die ich brauchte. Tim stand alleine auf dem Bürgersteig vor dem Schultor und zog gerade die Schlüssel aus der Jacke, um sein Mofa abzuschließen. Weit und breit niemand zu sehen. Ich tat etwas, was ich die letzten Zwölf Jahre nicht getan hatte in der Schule. Ich stürzte auf ihn los, als hätte mich jemand von der Leine gelassen, sah noch, wie er den Mund öffnete, als wollte er etwas sagen, aber dazu gab ich ihm keine Gelegenheit und schrie ihn mit der lautesten Stimme, die ich hatte, an:
    „Pass mal auf! Dein blödes Zahncreme-Werbegrinsen geht mir total auf den Wecker. Du bildest dir wohl ein mit achtzehn Enthüllungsjournalismus zu betreiben und Leuten wie meinem Vater die Stirn bieten zu können. Wer so viel Kohle hat wie er, der muss einfach Dreck am Stecken haben, oder wie?! Weißt du was, ich könnte kotzen deswegen. Das ist so was von oberflächlich und dämlich. Genauso bescheuert, wie von den Eltern auf ihre Kinder zu schließen. Lass das also in meinem Fall gefälligst bleiben, verstanden!!?“
    Meine Stimme wurde immer lauter. Leider auch immer piepsiger, ein Mäuschen, das ein Löwe sein wollte. Was für eine Blamage. Tim schaute mich an wie ein noch nie gesehenes Wesen. Ich hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wartete auf den Gegenangriff. Aber er lächelte einfach nur, breitete in versöhnlicher Geste die Arme aus und nannte mich beim Spitznamen, den sonst nur Luisa verwendete … und Atropa. Was für eine bodenlose Frechheit!
    „Hey, Kiri… also, ich mein, Kira, ich …“
    Er suchte nach den richtigen Worten und grinste ungerührt sein blödes Grinsen. Und dann merkte ich, wie mir direkt aus der Erde unter meinen Füßen diese ungeheure Hitze die Beine hinauf schoss, wahnsinnig schnell, und ich wusste, wenn sie in meinem Gehirn ankam ... Tims Stimme verschwand in einem Rauschen, das immer lauter wurde. Die letzten Worte, die ich verstand, waren:
    „… gerade bei dir würde ich niemals auf die Idee kommen. Du bist doch vollkommen … “
    Dann bewegte sich sein Mund tonlos weiter. Er schien immer größer zu werden, was in Wirklichkeit nur bedeuten konnte, dass ich in mich zusammensackte. Die Hitze durchflutete meinen Kopf und schaltete mich aus …
    ***
    Eine endlos blaue Tiefe pulsierte unter mir wie ein Muskel. Sie zog mich hinein, bis ich fast erstickte, dann spie sie mich wieder aus. Mal glaubte ich, Tims Hand darin zu fassen zu kriegen, dann konnte ich wieder nichts entdecken. Jedes Mal, wenn ich vom schwarzen Ungeheuer des Abgrunds nach oben gedrückt wurde, versuchte ich mich an der Wasseroberfläche irgendwo festzuhalten, aber da gab es natürlich nichts. Für Sekunden tauchte ich auf und schnappte nach Luft, bis es mich erneut erbarmungslos nach unten zog. Aus endloser Tiefe hörte ich einen Schrei. Es war Tim. Er rief nach mir und ich nach ihm, aber es war so unendlich schwer, unter Wasser laut genug zu schreien. Ich brüllte, wie ich nur konnte und spürte, wie mir Wasser in die Lungen lief. Ich sah ein Gesicht, dann wieder nicht. Grüne Augen und dunkle Haare. Es war nicht Tim. Das Pulsieren beschleunigte sich. In einem immer schneller werdenden Rhythmus wurde ich eingesogen. „Tim….!“ Ich schrie aus Leibeskräften…
    „Tim…“ Der verzweifelte Kampf, seinen Namen laut genug zu rufen ohne die Kraft dafür zu haben, riss mich aus meinem Traum. In Wirklichkeit hatte ich nur ein Flüstern zustande bekommen.
    „Pssst …“, machte es dicht an meinem Ohr, Hände drückten mich zurück in die Kissen und ich spürte ein kaltes Tuch auf der Stirn. Wer war diese Frau, an die ich mich panisch klammerte? Wieder machte sie „Psssst“. Sie war schön, aber nicht mehr ganz jung, und sie kam mir bekannt vor.
    Langsam wich der Nebel aus meinem Kopf. Die Dachschrägen über mir, das Panoramafenster, die Baumwipfel davor. Ich war in meinem Zimmer, und die Frau war Delia, meine Mutter. Sie saß auf der Bettkante, neben sich auf dem Nachttisch eine Zeitung, in der sie wohl gelesen hatte, und eine Schüssel mit Wasser. Sie schaute mich ängstlich an.
    „Dr. Pötsch war schon da. Er hat dir Vitamine gespritzt. Das Fieber geht
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