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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe
Autoren: Peter Prange
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Auferstehung ist im Preis inbegriffen.«
    Mit dem dicken Packen Briefe in der Hand kehrte Laura in die Küche zurück. Sie hatte so viel Post bekommen, dass sie unmöglich alle Glückwünsche vor dem Kochen lesen konnte. Sie würde die übrigen Briefe darum erst öffnen, wenn das Ragout auf dem Feuer stand. Immerhin hatte sie ihr Ritual ja so weit erfüllt, dass sie Pawel nun die große Überraschung verkünden durfte, ohne die Rache irgendwelcher Dämonen herauszufordern.
    »Wo bleibst du?«, rief sie ins Treppenhaus hinauf.
    »Einen Moment, ich muss nur noch einen Bilderhaken einschlagen.«
    Sollte sie schon jetzt die Flasche Champagner aus dem Keller holen, die sie für diesen Tag gekauft hatte? Oder sollte sie mit dem Anstoßen bis zum Abend warten, wenn die Gäste da waren? Einen winzig kleinen Schluck Alkohol hatte der Arzt ihr erlaubt. Während Pawel oben im Atelier anfing zu hämmern, legte Laura die Post auf den Küchenschrank. Sie hatte beschlossen, mit ihrem Mann alleine anzustoßen. Das war eine Sache, die sie nur mit ihm feiern wollte, zu zweit.
    Als sie den Kellerschlüssel vom Haken nahm, fiel ihr Blick auf einen Brief, der in den USA abgestempelt war. Sie erkannte die Handschrift sofor t – er stammte von Bobby. Überrascht griff sie nach dem Umschlag. In der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in Mexiko hatten sie und Bobby sich regelmäßig geschrieben. Doch seit ein paar Jahren war ihr Kontakt so gut wie erloschen, und zum Geburtstag hatte er ihr noch nie gratuliert.
    Was war der Grund, ihr jetzt zu schreiben?
    Mit dem Finger öffnete Laura das Kuvert. Schon nach der ersten Zeile musste sie schlucken. Bobby hatte Nachricht von seiner Mutter bekomme n – nach über zehn Jahren, in denen er nichts von ihr gehört hatte, hatte ihn ein letzter Brief Mathildes erreicht, auf Umwegen rund um die ganze Welt. Die meisten Wörter und Sätze, schrieb Bobby, waren geschwärzt gewesen, außer der Anrede und den Grüßen hatten die Zensoren fast nur das Rezept für eine Schwarzwälderkirschtorte lesbar gelassen. Bitte schick das Rezept auch an Laura weiter, ich hatte ihr doch versprochen, dass ich meine Lieblingstorte für sie backen wollt e … Mathilde hatte den Brief in einem kleinen polnischen Ort geschrieben, Auschwitz war sein Name. Dort war sie, so hatte das Jüdische Dokumentationszentrum Bobby aus Paris mitgeteilt, kurz vor Kriegsende in den Gaskammern der Nazis umgekommen. Das Visum, das die Amerikaner ihr bewilligt hatten, war offenbar nur wenige Tage zu spät ausgefertigt worden. Als die französische Post die Vorladung des Konsulats Mathilde hatte zustellen wollen, hatte die Gestapo sie schon verhaftet und in das Internierungslager Drancy verschleppt, von wo aus bis zum 31 . Juli 1944 regelmäßig Güterzüge nach Polen abgegangen waren, in das große Vernichtungslage r … Als PS hatte Bobby seinem Brief eine Nachricht von seinem Vater hinzugefügt: Harry habe New York inzwischen verlassen und sei nach Frankreich zurückgekehrt. Er habe »Kafkamerika« sat t – ein für alle Mal.
    Ein Lippenpaar streifte zärtlich Lauras Nacken.
    »Jetzt ist aber Schluss mit der Glückwunschleserei!«
    »Mein Gott, wie kannst du mich nur so erschrecken!«
    Laura fuhr herum. Ihr Mann schaute sie erwartungsvoll an. Er war so gespannt, dass er es kaum noch aushielt.
    »Und?«, fragte er. »Rückst du jetzt endlich mit der großen Überraschung heraus?«
    »Ach, Pawe l …«
    Laura ließ den Brief sinken. Für einen Moment dachte sie daran, alle Geburtstagsgäste anzurufen, um sie wieder auszuladen.
    Doch hätte Mathilde das gewollt?
    »Du hast ja geweint«, sagte ihr Mann. »Ist etwas passiert? Oder sind das Freudentränen?«
    Als Laura die ängstliche Hoffnung in seinen Augen sah, beschloss sie, den Tag so zu begehen, wie sie es sich vorgenommen hatte. Nein, sie wollte Pawel nicht enttäuschen. Mit einem Lächeln zwang sie sich zurück in seine Welt. Schließlich war das die Welt, für die sie sich entschieden hatte.
    »Wenn der Arzt sich nicht irrt«, sagte sie, »wird es wohl Zeit, dass ich allmählich häkeln lerne.«
    »Dann ist es also wirklich wahr?«, erwiderte er, immer noch unsicher, ob er glauben durfte, was er glauben wollte.
    Laura nickte. »Ja, Pawel«, sagte sie, »du und ic h – wir bekommen ein Kind.«
    »Was bist du nur für eine wunderbare Frau!« Strahlend vor Glück schloss er sie in die Arme und drückte sie an sich. » Du hast Geburtstag«, flüsterte er, »und machst mir das schönste Geschenk
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