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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe
Autoren: Peter Prange
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anderen Ende des Gewölbes wucherte aus einer silbrig schimmernden Felswand ein dichter, üppiger Wald hervor, eine düstere, unheimliche Landschaft, die von Verwüstung und Tod gezeichnet war: Nach dem großen Regen … Fast hatte er das Bild vergessen. Er hatte es nach seiner Flucht aus Les Milles gemalt, in Lulus Berghütte, wo er sich wochenlang vor der Gestapo und ihren französischen Helfershelfern hatte versteckt halten müssen.
    »Es freut mich, dass ich Ihnen Ihr Eigentum zurückgeben darf«, erklärte Monsieur Cheval, während er das Bild zusammenrollte und Harry aushändigte. »Madame Lulu hat mir die Leinwand gebrach t – zwei Tage vor ihrem Tod. Bis zuletzt hat sie behauptet, Sie würden noch einmal wiederkommen. Sie scheint Sie gut gekannt zu haben.«
    Er zog den Kopf ein und ging voraus zur Treppe. Mit der Leinwand unter dem Arm, folgte Harry ihm die Stufen hinauf. Die Räume oben in der Wohnung waren in einem erstaunlich guten Zustand. Monsieur Cheval hatte sich die Wochenenden auf dem Land offensichtlich einiges kosten lassen. Harry musterte jeden Winkel. Die Wände waren allesamt frisch gestrichen, weder die Böden noch die sanitären Einrichtungen wiesen reparaturbedürftige Schäden au f – sogar der Herd in der Küche glänzte, als habe eben erst jemand die Kochfläche mit einem Scheuermittel blank gewienert. Und aus jeder Nische, aus jedem Winkel, wohin Harry auch immer schaute, grüßte ihn irgendein Fresko, irgendeine Kachel, irgendeine Leiste, die Laura mit ihrer Kunst verzaubert hatte.
    »An welchen Preis haben Sie gedacht?«, fragte Harry.
    »Zwanzigtausend neue Franc«, erwiderte Monsieur Cheval.
    »So viel? Wir haben damals nur ein Zehntel für das Haus bezahlt.«
    »Mag sein. Aber damals gab es darin auch noch keine Kunstwerke.«
    »Sie meinen, ich soll jetzt unsere eigenen Sachen bezahlen, das, was Laura und ich selbs t …«
    »So ist das Leben«, fiel der Futtermittelhändler ihm lachend ins Wort. »Alles, was mit dem Mauerwerk dauerhaft verbunden ist und sich nicht ohne Gewalt entfernen lässt, gehört mit zum Haus. Das hat mir Maître Simon schriftlich bestätigt.«
    »Aber das ist Diebstahl!«, protestierte Harry.
    Monsieur Cheval zuckte die Schultern. »Sie können es sich ja überlegen. Ich habe keine Eile zu verkaufen.« Zum Zeichen, dass die Besichtigung beendet war, ging er zurück zur Stiege. »Vielleicht möchten Sie noch einen Blick auf den Weinberg werfen? Ein Bauer aus der Nachbarschaft kümmert sich um die Pflege der Reben und besorgt die Ernte. Wir keltern jedes Jahr zwei- bis dreihundert Flaschen. Ich weiß ja nicht, wie viel Sie selber davon trinken, aber in ein paar Jahren kommen Sie allein durch den Wein auf Ihre Kosten.«
    Harry blieb nichts anderes übrig, als die Kröte zu schlucken. Monsieur Cheval war ein Kaufmann, er hatte die Rechtslage mit Sicherheit geprüft. Während Harry ihm zurück auf den Hof folgte, überschlug er die Finanzen. Obwohl Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht gerade seine Stärke waren, wurde ihm rasch klar, dass der Preis, gemessen am Marktwert seiner Werke, alles andere als übertrieben war. Seit seinem Triumph bei Debbies Museumseröffnung machten Kunstsammler auf der ganzen Welt sich einen Sport daraus, völlig absurde Summen für seine Bilder zu bieten.
    »Sind fünfzehntausend ein Angebot?«, fragte Harry, als sie wieder ins Freie traten.
    »Siebzehn fünf«, erwiderte der Futtermittelhändler. »Allein das Bild, das ich Ihnen zurückgegeben habe, ist doppelt so viel wert. Kein Hahn hätte danach gekräht, wenn ich es mir unter den Nagel gerissen hätte. Ich denke, das wissen Sie so gut wie ich.«
    Gegen seinen Willen musste Harry grinsen. Im Vergleich zu den Ganoven von Galeristen, mit denen er in Paris zu tun hatte, war dieser Futtermittelhändler der reinste Unschuldsengel.
    »Also gut«, sagte er. »Siebzehn fünf. Aber das Bild gehört mit zum Geschäft und wird in den Vertrag aufgenommen.«
    »Ganz, wie Sie wünschen.« Monsieur Cheval streckte ihm die Hand entgegen. »Dann sind wir uns also einig?«
    »Ich denke schon.«
    Harry wollte bereits einschlagen, da hörte er plötzlich in seinem Rücken ein leises Plätschern. Als er sich umdrehte, sah er den Hund des Hausbesitzers. In aller Seelenruhe pinkelte der Köter auf einen kleinen Gnom, mit dem Harry vor Jahren einen Prellstein verziert hatte.
    »Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen!«, lachte Monsieur Cheval.
    Irritiert ließ Harry die Hand sinken. Hatten seine Figuren,
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