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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe
Autoren: Peter Prange
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Herzen las.
    Erinnerst Du Dich, wie entsetzt Du damals warst, als ich die einzelnen Teile der Himmelsbeute miteinander vernähte? Ich bin so glücklich, dass es dieses Bild von uns gibt. Ich wollte etwas haben, das nur uns beiden gehört. Wann immer einer von uns daran arbeitet, wann immer einer von uns es ansieht oder auch nur daran denkt, werden wir zusammen sein. Egal, wo der andere gerade ist. Solange wir lebe n … Und vielleicht sogar darüber hinau s …
    Wie eine Erlösung überkam ihn plötzlich der Schmerz, zusammen mit der Erinnerung, Bild für Bild, das ganze Tagebuch ihrer Liebe, die Ausbeute all der unwirklichen, überwirklichen Augenblicke, die sie dem Himmel gestohlen hatte n … Wieder sah er Laura vor sich, beim Rauchen von Mirakelkraut, in ihrem Garten, in ihrem Weinberg, mit einem Glas von ihrem eigenen Wein prostete sie ihm z u … Er sah sie, wie sie zusammen gemalt hatten, in ihrem Atelier, in der Schlossruine von Largentière, zusammen mit den Verrückten, die so viel besser sehen konnten als alle sogenannten normalen Mensche n … Sah, wie Laura und er sich geliebt hatten, in ihrem Zauberhaus, im Schutz der Penaten, am Ufer der Ardèche, während eine buntgefleckte Libelle über das glitzernde Wasser schwebt e … Ihr Gesicht, als er niesend aus seinem Albtraum aufgewacht war und geglaubt hatte, er hätte sie verlassen, das unfassbare Glück, als sein suchender Blick sie fan d – Laura, nackt auf einem Stein, die Füße im seichten Wasser, in dem ein Schwarm winzig kleiner Fische um ihre Waden flitzte und tausend Schatten auf den hellen Sandboden war f …
    Ja, sie waren zusammen im Paradies gewesen. Sie hatten die Dämonen der Wirklichkeit bezwungen, mit ihrer Liebe und mit ihrer Kunst.
    Adieu, mein Geliebter, Dada, Harry. Nein, nicht Adie u – ich gehe dir nur voraus, auf die andere Seit e … Dort bin ich bei di r … wenn du mals t … wenn du träums t … Dort warte ich auf dich, mein Geliebter, voller Freude auf unser Wiedersehe n …
    Hörte er wirklich ihre Stimme, oder waren es seine eigenen Worte, die aus ihrem Brief zu ihm sprachen? Noch einmal ließ Harry den Blick über die Collage schweifen. Die erste Begegnun g … Das Schaukelpferd und das Wildpfer d … Die Einkleidung der Windsbrau t … Der Große Zauberer im klirrenden Fros t … Ihr Doppelporträ t … Sie hatten den Zauber ihrer Liebe für immer gebannt, in jedem ihrer Bilder. Und auch wenn eine Wolkenwand sie nun trennte, Laura zur Erde niederfuhr, auf ihrem allerletzten Bild, und Dada in den Himmel entschwebte, so einsam und verloren wie ein Atom im Universum, konnte dieses Paradies ihm niemand mehr nehmen, kein Dämon und kein Mensc h …
    Plötzlich flammten Lichter auf, und geblendet vom gleißenden Schein, hörte er eine Stimme, die seinen Namen rief, wie Gottes Stimme am Tag des Jüngsten Gerichts.
    »Harry Winter!«
    Auf dem Absatz fuhr er herum. Applaus brandete auf. Harry hob die Hände gegen das Licht. Dutzende von Scheinwerfern waren auf ihn gerichtet und mindestens so viele Kameras. Eine Meute von Reportern stürmte auf ihn zu, rief seinen Namen, um ihn als den wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts zu feiern, ihn und die Himmelsbeute , das Bild einer Jahrhundertliebe, das größte Kunstwerk der modernen Zeit.
    Ein Reporter hielt ihm ein Mikrofon vors Gesicht. Blinzelnd erkannte Harry einen Mann, der ihm zum Verwechseln ähnlich sah. Groß und hager stand er vor ihm, in aufrechter Haltung, ein Gesicht wie Cäsar. Obwohl sie einander noch nie persönlich begegnet waren, kannte Harry ihn seit mehr als einem halben Menschenlebe n – ein Malerkollege aus Deutschland, der offenbar auch vor den Nazis geflohen war. Wie war noch sein Name? Der Aufdruck seiner Baseballkappe wies ihn als Reporter der Herald Tribune aus.
    »Eine Frage, Mr. Winter«, sagte er. »Man nennt Sie den Großen Zauberer, den Mann, der die Menschen und Dinge verwandelt. Gilt das auch für Sie selbst?«
    »Ic h … ich weiß nicht, was Sie damit meinen«, erwiderte Harry verwirrt.
    »Ganz einfach. Die Himmelsbeute ist ein gemeinsames Werk von Laura Paddington und Ihnen. Kein einzelner Künstler hätte es erschaffen können. Ist der Abschied vom eigenen Ich, die Doppelung in der Kunst, also der Preis für die Unsterblichkeit?«

Epilog
    Nach dem großen Regen

Mexik o/ Sainte-Odile
1955

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    Laura saß am Küchentisch und putzte Gemüse für ein Molé, ein scharfes, mexikanisches Ragout, dessen Rezeptur einer alten Legende
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