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Himmelsdiebe

Himmelsdiebe

Titel: Himmelsdiebe
Autoren: Peter Prange
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Stunden liebevollster Sorgfalt auf die Zubereitung der Speisen verwandte, waren sie nicht nach jedermanns Geschmack. Einmal sah ich mich gezwungen, einen Hasen mit Austern stellvertretend für all diejenigen zu verspeisen, die es lediglich beim Genuss des Duftes bewenden lassen wollten. Nach diesem Erlebnis, ich gestehe es frei, habe ich mich nicht gar zu oft danach gedrängt, an ihren Tafelrunden teilzunehme n …«
    Bei der Erinnerung musste Harry grinsen. Wie ein Gemälde stand die Szene noch vor ihm. Pompon hatte damals auf den Nachtisch spekuliert und dann nicht mal den Hauptgang geschafft. Was für ein dummes Gesicht hatte er gezogen, als er von der Wahrheitssuppe probierte!
    »Warum erzähle ich Ihnen das?«, fragte Pompon. »Weil Laura Paddington zusammen mit meinem Freund Harry Winter ein Bild geschaffen hat, das ich ohne Zögern als das bedeutendste Kunstwerk dieses Jahrhunderts bezeichnen würde. Himmelsbeute ist das Sinnbild einer Liebe und zugleich ein Dokument unserer Zeit. Es verweist auf die transzendentale Beheimatung des Menschen im Reich des Unsichtbaren, ohne seine Verwurzelung in jenen Gefilden zu leugnen, die wir gemeinhin Wirklichkeit nenne n …«
    Harry traute seinen Ohren nicht. René Pompon, sein alter Widersacher und Neider, der Mann, der ihm viele Jahre seinen Ruhm als Künstler genauso missgönnt hatte wie seinen Erfolg bei den Frauen, nannte ihn plötzlich seinen Freund und erklärte die Himmelsbeute zum bedeutendsten Kunstwerk des Jahrhunderts? Wenn Laura jetzt da gewesen wäre, Harry hätte sie an der Hand genommen, um mit ihr in die Lüfte zu entschwinden. So begnügte er sich mit einem triumphierenden Blick auf die Bilder seiner Rivalen.
    »Auf diese Weise wird das Kunstwerk selbst zur Definition der Kunst: als wechselseitige Durchdringung von Realität und Imagination. Realität ohne Imagination ist Stumpfsinn, Imagination ohne Realität Irrsinn. Diese Erfahrung hat Laura Paddington mit einer Radikalität gemacht, die unsere Bewunderung verdient. Als Einzige von uns allen hat sie den Mut gehabt, sich auf eine Reise des Geistes zu begeben, von der gewöhnliche Menschen zurückzukommen wenig Aussicht haben. Und bis heute hat sie sich die Sehnsucht nach jenen fernen Ufern bewahrt, um uns mit ihrer Kunst Gelegenheit zu geben, auf ihren Spuren zu wandel n …«
    Als würde jemand ein Brennglas auf ihn richten, spürte Harry plötzlich Debbies Blick im Nacken. Gegen seinen Willen drehte er sich um. Als ihre Blicke sich begegneten, sah er, dass ihre Augen feucht glänzten. Fing sie gleich vor lauter Glück an zu heulen? Oder war er selber der Grund ihrer Tränen? Harry schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Debbie war imstande, ihm an ihrem eigenen Ehrentag in aller Öffentlichkeit eine Szene zu machen!
    Abrupter, als es seine Absicht war, kehrte er ihr den Rücken zu und schaute zur Tür. Wenn Laura jetzt nicht endlich kam, würde sie noch den größten Triumph ihres Lebens verpassen. Aber statt Laura betrat nur ein Botenjunge in Pagenuniform und Käppi den Eingang. In der Hand trug er einen Brief.
    Harry runzelte die Stirn. Was hatte das zu bedeuten?
    Der Junge wandte sich an einen Museumswärter, die beiden wechselten ein paar Worte, dann zeigte der Museumswärter auf Harry.
    Harry beschlich ein ungutes Gefühl. Mit dem Brief in der Hand, steuerte der Junge direkt auf ihn zu.
    »Das Abenteuer dieser Reise hat Laura Paddington jetzt noch einmal gewagt, und wie immer hat sie ihr ganzes Leben in die Waagschale geworfen, ohne zu wissen, ob es eine Rückfahrkarte gibt. Davon zeugen die herrlichen Bilder, die sie in die Himmelsbeute eingebracht hat. Diese Bilder sind Ansichten des Wunderbaren. Ganz durchdrungen von okkultem Licht, vergegenwärtigen sie uns ein Land, in dem noch niemand von uns war, doch das uns allen in die Kindheit schein t …«
    Während Pompon in seiner Rede fortfuhr, als würde sonst nichts geschehen auf dieser Welt, als wäre der Brei seiner Worte der Fluss der Zeit, in dem das Leben der ganzen Menschheit sich vollzog, überreichte der Bote Harry den Brief.
    Harry hätte viel dafür gegeben, jetzt eine Brille zu haben. Aber er hatte nur sein Lorgnon. Also nahm er die alberne Lesehilfe und führte sie vor die Augen.
    Der Umschlag trug seinen Namen. Die Schrift war die seiner Windsbraut.
    Ohne dem Jungen ein Trinkgeld zu geben, riss Harry den Umschlag auf.
    Kaum hatte er die ersten Zeilen überflogen, erstarrte er. Nur der Brief in seiner Hand zitterte, als habe ihn ein
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