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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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keinerlei weiblichen Beschützer-Instinkt, was diese Fäustchen ballenden Frischlinge anbelangte. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich war jung und brauchte das Zeugnis. Beziehungsweise das Praktikum. Geld gab es ja keines. Ein Auslandsaufenthalt machte sich halt gut im Lebenslauf, und das Praktikum war auch Grundlage für mein weiteres Studium der Frauenheilkunde.
    Ich musste da durch. Das war mir klar. Wenn ich später mal selbst Geburten durchführen oder sogar eigene Kinder bekommen wollte, war das eine ideale Grundausbildung. Mit diesen Worten stärkte mich Stefan.
    Wenn ich ab und an sehr deprimiert war, stand mein Liebster plötzlich wie aus dem Boden gestampft auf
der Matte, löste mich bei meinen Vorgesetzten unter irgendeinem Vorwand aus und nahm mich mit in den Hyde Park. Dort lagen wir dann auf der Wiese, amüsierten uns über die Leute, lachten und träumten. Inzwischen war ich richtig verliebt in meinen fränkischen Weltverbesserer. Er hatte zwei Vorzüge, die man bei Männern selten findet: Erstens konnte er fantastisch zuhören. Und zweitens hatte er den Kopf voller Pläne … die alle mit mir zu tun hatten. Ich gebe zu, dass mir das schmeichelte. Und dass ich es genoss, mit ihm zu träumen. Wir träumten davon, den Krebs zu besiegen. Und wir träumten spaßeshalber von vielen Kindern und einem großen alten Haus mit Terrazzomosaik und Eisblumenglas in den Flügeltüren.
    Für ihn war es sowieso beschlossene Sache, dass wir zusammengehörten.
    Na gut, ich gebe gern zu, dass mich der Gedanke auch immer mehr begeisterte.
     
    Und dann rief mich im Schwesternheim plötzlich mein Vater an. Das schmuddelige Telefon hing an der Wand neben der Kantine. Kein schöner Ort, um vertraute Gespräche mit seinem Väterchen in der Heimat zu führen.
    »Na, wie geht’s denn, Kleines?«
    Mein Vater nannte mich stur »Kleines«, obwohl ich, wie schon erwähnt, groß bin - 1,83, um genau zu sein.
    »Väterchen? Bist du’s wirklich?«
    Normalerweise telefonierte mein Vater nicht hinter mir her, da hatte er wirklich Wichtigeres zu tun.

    »Mich hat ein gewisser Herr …«, ich hörte ihn in seinen Unterlagen blättern, »… Stefan Kuchenmeister angerufen.«
    »Bi… bitte?«
    »Du scheinst ihn offensichtlich schon länger zu kennen?«
    »Wie man’s nimmt«, antwortete ich errötend.
    »Nicht, dass mich das was angeht, Kleines, aber in was für einem Verhältnis stehst du zu diesem Herrn?«
    »In keinem, Vater, in keinem! Nicht im Geringsten haben wir ein Verhältnis.« Mir ging irgendwie die Luft aus. Das lag sicherlich an dem fettigen Gestank aus der Kantine nebenan.
    »Er hat mich regelrecht bedrängt, er müsse mich kennenlernen. Und Muttern auch. Die ist schon ganz pikiert über so viel Heißsporn von diesem unbekannten jungen Mann.«
    Na ja. Das kannte ich ja schon an ihm.
    »Och Väterchen, das darfst du nicht so eng sehen …«
    »Er meinte, es sei allerhöchste Zeit.«
    »Na ja, nach dem Sommer könnte man ja mal ein gemeinsames Kaffeekränzchen einplanen …«, versuchte ich die Sache herunterzuspielen.
    »Wieso auch nicht«, sagte mein Vater locker. Im Gegensatz zu mir klang er völlig entspannt. »Was anderes hätte ich von dir auch gar nicht erwartet. Du gibst dich nicht mit Typen ab, die deine und meine Zeit verschwenden. Du machst eben keine halben Sachen. Ganz meine Tochter.«
    Puh!, dachte ich mir. Dass mein Stefan mit 4000 PS
durchs Leben zieht, hatte ich ja schon gewusst. Aber er hatte doch hoffentlich noch nicht bei Väterchen um meine Hand angehalten?
    »Wie ich hörte, geht es dir soweit gut. Das freut mich. Es wurde ja auch Zeit, dass du endlich mal einen vernünftigen Mann kennenlernst.«
    »Ja.«
    »Er machte mir wirklich einen sehr soliden Eindruck am Telefon.«
    »Wie schön.«
    »Und er schreibt seine Diplomarbeit in Betriebswirtschaft.«
    »Was du nicht sagst …«
    »Ein prima Kerl, wie mir scheint.«
    »Ja. Ich bin auch ganz von den Socken …«
    Vor Väterchen tat ich ganz cool. Die Wirklichkeit sah anders aus: Wann immer ich an Stefan dachte, machte mein Magen einen aufgeregten kleinen Hüpfer. Ich konnte mich bei der Arbeit dann plötzlich nicht mehr konzentrieren.
    »Na dann … viel Spaß noch, ihr zwei!«, sagte Väterchen und legte auf. Das »Schöne Grüße an Mutter« hörte er schon nicht mehr.

5
    »Darf ich die Braut mal stören?«
    »Oh, ja. Natürlich.«
    Der Friseur riss mich aus meinen Erinnerungen, indem er mich sanft in die Senkrechte zurückbrachte. Ich betrachtete
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