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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle
Autoren: Hera Lind
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Tischplatte. Ich fühlte mich wie aus einem Traum gerissen.
    »Wirklich, Konstanze. Wir werden für deine Träume kämpfen. Ich bin dabei. Du kannst es schaffen.«
    »Was … was meinst du?« Ich rieb mir die glühende Wange.
    »Deinen Kampf gegen den Krebs!«
    Oh. Ja. Genau. Natürlich. Ich räusperte mich.
    »Also der Krebs. Ich hab da mal ein paar Statistiken gelesen. Nur damit du weißt, wovon ich spreche.« Ich nahm einen Schluck Bier. »Wusstest du zum Beispiel, dass allein in Deutschland jede achte Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt?«
    »Nein«, sagte Stefan und rieb sich die Stirn. »Wahnsinn. Das wusste ich nicht.«
    »Das sind in Deutschland etwa 57 000 Neuerkrankungen pro Jahr. 17500 Frauen sterben daran, und 2000 an Gebärmutterhalskrebs. Die meisten dieser
Frauen sind Mütter. Sie hinterlassen Kinder. Und Männer.« Schweigen. Ich konnte förmlich sehen, wie Stefans Hirn auf Hochtouren arbeitete. »Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Erkrankung tödlich ausgeht, liegt allein bei Brustkrebs bei etwa dreißig Prozent. Seit 1970 haben sich die Erkrankungen verdoppelt. Verdoppelt!, hörst du, Stefan? Da muss doch in der heutigen Medizin etwas zu machen sein! Auch die Menschen müssen wachgerüttelt werden. Jeder bringt sein Auto zum TÜV. Aber was ist mit der Vorsorge für Frauen? Die wissen oft gar nicht, welche Möglichkeiten es gibt! Da braucht es Aufklärung, neue Regelungen bei den Krankenkassen!« Ich hatte mich so in Rage geredet, dass ich japsend innehielt. Verwirrt rieb ich mir die Stirn.
    Stefan sah mich eindringlich an. Sein Blick wurde immer weicher. Es entstand eine kleine Pause, dann packte er meine Hände über die Tischplatte hinweg.
    »Ja, lass uns etwas unternehmen!«
    Ich nickte, musste plötzlich eine Träne wegblinzeln. »Das interessiert dich? Echt?«
    »Mich interessiert, etwas mit dir auf die Beine zu stellen. Etwas Sinnvolles, das Menschen hilft.«
    Mir wurde ganz warm ums Herz bei seinen Worten. Gleichzeitig machten sie mich misstrauisch.
    »Ist das wirklich dein Ernst, oder suchst du nur ein Abenteuer für diesen Sommer? Denn das könntest du echt unkomplizierter haben …«
    »Konstanze! Kapierst du es immer noch nicht? Ich will mit dir etwas Großes erreichen! Ich habe meine
Träume und du deine. Wir haben beide dieses Feuer in uns, diesen Drang, etwas zu verändern. Wir sind nicht der Typ, der Umstände einfach hinnimmt. Ich in der Politik und du mit deiner Medizin! Warum tun wir es nicht zusammen? Warum tun wir UNS nicht zusammen?«
    Seine blauen Augen waren unwiderstehlich. Er nahm meine Hand, und ich umklammerte die seine, versuchte den Köperkontakt so lange wie möglich aufrechtzuerhalten.
    Er beugte sich vor, und diesmal hielt mich nichts mehr zurück. Sein Mund traf auf meinen, weich und fest zugleich, zärtlich und entschlossen. Er küsste mich. Seine Lippen öffneten die meinen, und sein Dreitagebart piekste mich im Gesicht. Stefan Kuchenmeister küsste mich. So begann unser gemeinsames Leben. In einer Kneipe im Süden von London.
     
    Wir verbrachten den ganzen Sommer zusammen; er schrieb auf seinem damals noch riesigen Laptop an seiner Diplomarbeit, und ich versah meinen Dienst im St. Martha’s Hospital.
    Das war nicht der Hit: Schon morgens um sechs musste ich dort antanzen, man hatte mich ausgerechnet auf die Neugeborenen-Station gesteckt. Ich hatte keine Ahnung von Babys, diese schreienden kleinen Ungeheuer waren mir suspekt. Ich musste die noch schleimigen Winzlinge direkt nach der Geburt waschen helfen. Dann brachte ich die warm verpackten Bündel zu ihren Mamis, die sich begeistert das Nachthemd
vom Busen rissen. Mein Job bestand darin, die schreienden Münder an die geschwollenen Brustwarzen der englischen Mommys anzudocken. Wenn dann beide still waren, hatte ich meine Arbeit gut gemacht, aber das kam leider selten vor. Entweder plärrte das Baby oder die Mutter oder alle beide. Meistens plärrten auch noch die englischen Schwiegermütter dazwischen oder die Ehemänner, die völlig überflüssigerweise ebenfalls dabei waren. Natürlich gab es in dieser Londoner Klinik keine Einzelzimmer oder gar so etwas wie »Privatsphäre«. Die Geburten fanden hinter einem Vorhang statt, der verblüffende Ähnlichkeit mit dem bereits erwähnten Duschvorhang aus dem Baumarkt hatte, und mitunter verstopften bis zu zwanzig Personen den Saal. Wie die alle rochen, besonders in jenem heißen Sommer, möchte ich nicht näher beschreiben. Irgendwie verfügte ich über
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