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Himmel über London

Himmel über London

Titel: Himmel über London
Autoren: H Nesser
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Badhusgatan, die drei Objekte Woodstock Road in Oxford und Woodstock Street in London, die Wohnung in der Kemble Street, die Wohnung in der Talbot Road, die unvergessliche Mischung gewisser Abende und die dunkle Herbststraße zwischen Oostwerdingen und Saaren, die Cafeteria im British Museum, Covent Gardens U-Bahn-Station und die Tauben und Fledermäuse in J.M. Barries Haus an der Craven Terrace. Überall dort konnte er anhalten und aussteigen, das war die einfachste aller Aktionen, als würde er in einem Buch zurückblättern, es war möglich, zu allem zurückzukehren, und alles befand sich dort, wo es sich immer befunden hatte.
    Dennoch war es natürlich sein Ziel, sich nach Richmond hinaus zu begeben – in die Richtung der Tangente und mangels anderer Alternativen während dieses speziellen Zeitabschnitts –, und als er von der Moscow Road in die Ossington Street einbog, tat er das mit einem neu erwachten Gefühl von Optimismus und innerer Gewissheit. Er hatte getan, was er hatte tun können, sein eigenes Leben und sein großer Roman hatten ihn zu diesem Abend geführt, teilweise parallel, aber meistens auf getrennten Wegen, und die Stunden und Seiten, die noch zu schreiben, zu lesen oder zu leben blieben, waren gezählt. Vielleicht war es auch gar nicht zwingend notwendig, sie durchzustehen; die Begegnung mit Carla zu erhalten und zu hüten – all die verschiedenen Begegnungen mit Carla –, das war von viel größerer Bedeutung, es hatte lange gedauert, ein Abraham zu werden, und die Wärme ihrer Lippen auf seiner Wange, dieser pulsierende Fleck, das war wirklich ein Zwischenstopp, so gut wie jeder andere.
    Er hatte erst wenige Schritte auf der Ossington Street zurückgelegt, als plötzlich ein fremder Mann vor ihm auftauchte. Dieser trug eine Art Umhang und einen altmodischen Schlapphut, der den größten Teil seines Gesichts verbarg. Lars Gustav konnte nicht sagen, wo er überhaupt herkam, vielleicht hatte er hinter einem Auto gehockt. Plötzlich stellte er sich ihm auf dem schmalen Bürgersteig in den Weg, mit ausgebreiteten Armen und in einer Haltung, die keinen Raum für Interpretationen ließ.
    Lars Gustav Selén blieb zwei Meter vor dem Fremden stehen. Autos parkten in Reih und Glied auf dieser Straßenseite, aber ansonsten war es menschenleer. Ein Stück entfernt meinte er die Bayswater Road mit der massiven Mauer vor der russischen Botschaft erkennen zu können. Die spärlich platzierten gelblichen Straßenlaternen waren nicht in der Lage, das Dunkel zu bezwingen, und zwei Tauben, die sich halb schlafend oder vielleicht auch gurrend auf dem Bürgersteig zwischen Lars Gustav und dem Fremden befunden hatten, suchten schnell in einer Fensternische Zuflucht.
    Ein paar Sekunden lang passierte gar nichts, außer dass Lars Gustav seine Wange mit der Hand berührte. Mit seiner gesunden Hand; langsam strich er mit zwei Fingerspitzen über Carlas Fleck, wobei er feststellte, dass der Mann, der ihm den Weg versperrte, zwei Dinge bei sich trug, in jeder Hand eines. Das eine war ein langer Dolch, das andere eine Armbanduhr.
    Eine Minute später war alles vorbei. Der Mann war verschwunden, Lars Gustav Selén lag auf dem Rücken auf dem Bürgersteig und verblutete. Um sein rechtes Handgelenk trug er die billige Armbanduhr, die eine Minute vor zwölf stehen geblieben war. Sein Bewusstsein wurde langsam jeglichen Inhalts entleert, sein Blick war geradewegs auf den unruhigen Himmel gerichtet, daneben konnte er aber auch noch Teile einer Hausfassade aus dunklen Ziegelsteinen rechts in seinem sich verengenden Blickfeld erahnen, die Zweige eines Baums sowie den schwachen Schein einer der Straßenlaternen in einigem Abstand.
    Er hatte keine Schmerzen. Er bereute nichts, und er hatte keine Angst. Bevor alles vorbei war, gelang es ihm noch, das Geräusch davonlaufender Füße zu erfassen, und ungefähr dreißig Sekunden, bevor das Leben endgültig aus ihm rann, meinte er plötzlich in einen Spiegel zu schauen. Sein eigenes Gesicht schwebte über ihm, verdeckte einen großen Teil des Himmels, einen kleineren Teil der Häuserfassade und den ganzen Baum. Warum das?, fragte er sich verwundert. Warum ist das Letzte, was ich sehe, mein eigenes Gesicht? Das hätte ich nicht gedacht.
    Doch es war nicht sein eigenes Gesicht, das begriff er augenblicklich, als der Mund sich öffnete.
    »Es tut mir schrecklich leid, dass ich zu spät gekommen bin. Aber wir haben ihn, endlich haben wir ihn geschnappt. Es tut mir so leid, dass ich es
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