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Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen!
Autoren: Tobias Mann
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Hörensagen her blöde? Keine Angst, das machen ganz viele so. McDonald’s finden ja auch immer diejenigen am schlimmsten, die noch nie im McDrive einen 9er Chicken McNuggets gekauft haben. Eine kurze Erklärung für Neulinge: Facebook ist eine Website, auf der man via sogenannter Statusmeldung etwas kundtun kann: »Bin heute in Köln«, und darunter schreibt dann jemand: »Super, ich bin in Hamburg.« Der Erkenntnisgewinn daraus: Ein Treffen wird zumindest an diesem Tag schwierig.
    Ja, meine Damen und Herren: So sehen heutzutage Mil­liarden-Dollar-Geschäftskonzepte aus. Darüber hinaus bleibt man in Kontakt mit Leuten, denen man im richtigen Leben noch nicht einmal seine Telefonnummer anvertrauen würde, und tauscht mit ihnen private Fotos, Videos und Texte aus. Zeig mir dein Kantinenessen, und ich zeig dir meinen Ficus Benjamini. Kurzum: Es ist herrlich sinnlos! Goethe soll mal gesagt haben: »Zerstreuung ist wie eine goldene Wolke, die den Menschen, wär es auch nur auf kurze Zeit, seinem Elend entrückt.« Ganz klar: Auch Goethe wäre begeisterter Facebook-Fan und würde auf der goldenen Netzwerk-Wolke seine Zerstreuung suchen: »Habe nun, ach! MySpace, Twitter und leider auch Google+ durchaus benutzt, mit heißem Bemüh’n. Da surf ich nun, ich armer Tor, und poste auf Facebook wie zu­vor.« 41
    Dreh und Angelpunkt des Lebens im Dorfe derer von und zu Zuckerberg ist die sogenannte Pinnwand. Dort lädt man Sachen hoch, »postet« also seine Befindlichkeiten in Wort und Bild, um sie mit seinen »Freunden« zu teilen. Selten waren Anführungszeichen so wichtig wie im letzten Satz, denn Facebook hat, ohne den Gott der Sprache um Erlaubnis zu bitten, für seine Teilnehmer den Begriff »Freunde« okkupiert und denkt gar nicht daran, ihn wieder herzugeben. Freunde sind auf Facebook erst einmal alle. Generationen von Facebook-Usern haben somit für den Menschen, der dir aus persönlicher Zuneigung eine Niere spendet und denjenigen, der dir ein Bild vom Eimersaufen in Lloret de Mar auf die Facebook-Pinnwand postet, die gleiche Bezeichnung: Er ist ein »Freund«.
    Das mag zynisch klingen, ist aber nicht die Schuld von Face ­book, sondern von seinen Nutzern, die durch wahlloses Annehmen sogenannter »Freundschaftsanfragen« den Begriff erst so richtig verwässert haben. Das Internet wird durch Facebook selbst bei erwachsenen Menschen zum Schulhof aus ­Jugendtagen, auf dem keiner der schwarz gekleidete Sonderling sein will, der ganz allein heimlich rauchend in der Ecke steht. Man nimmt also, wenn auch teilweise mit Magengrimmen, den einst so schrecklichen Streber aus der Oberstufe ebenso an wie den heute erwachsenen Schlägertypen aus der Nachbarschaft, die Bäckereifachverkäuferin im Stammsupermarkt und den durchgeknallten Onkel, der vor vierzehn Jah ren nach Wladiwostock ausgewandert ist. So bildet sich für den Nutzer ein illustres Freundesgrüppchen, das in großen Teilen wenig bis nichts gemeinsam hat.
    Die Motivation, Freundschaftsanfragen zu verschicken, reicht denn auch von der Vermutung intellektuellen Gewinns über eine gemeinsame Bahnfahrt bis hin zu Geschlechtsverkehrsanbahnung oder Kinderwunsch. Dadurch wird es umgekehrt zu einem fast schon gewalttätigen Akt, jemandem die Freundschaft zu verwehren und Facebook vielleicht sogar mitzuteilen, dass man die Person überhaupt nicht kennt. Durch den großen Interpretationsspielraum deklariert man den Abgelehnten manchmal fast als Stalker. Da bekommt die wahrscheinlich völlig unschuldig gemeinte Anfrage »Gerhard Gutmann möchte mit dir auf Facebook befreundet sein« plötzlich sogar einen lüsternen Unterton. Während man andere, iden tisch geschickte Anfragen freudig entgegennimmt, denkt man hier vielleicht »Igitt, DER fragt mich an? Die Sau!«, gerade so, als hätte der gute Mann Gerhard sich beim Absenden der Nachricht brünstig über die Lippen geleckt und die Brustwarzen gerieben. Das ist natürlich Quatsch. Zumindest meistens. Denke ich. Hoffe ich.
    Wie unfair behandelt und missverstanden man sich fühlt, erschließt sich erst dann, wenn man selbst einmal abgelehnt wurde. Dafür bleibt Facebook einem nämlich die Begründung schuldig. Man erfährt nie, warum das Gegenüber auf »Ablehnen« oder »Ich kenne die Person nicht« geklickt hat.
    »Was ist nur mit mir?«, fragt man sich, vor allem, wenn man die Liste der gemeinsamen Freunde sieht – Menschen, die der Angefragte im Gegensatz zu einem selbst angenommen hat. »Was hat diese hier, das ich nicht
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