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Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen!
Autoren: Tobias Mann
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sich plötzlich ein bisschen wie die Gestalt auf Edvard Munchs Bild »Der Schrei«. Der Ruf ins World Wide Web verhallt unbe­achtet. 44 Dennoch ist Facebook eine Insel der Seelenruhe im Internet, wo ansonsten anonyme menschliche Trolle fieses Feedback zu ihrem leidenschaftlichen Hobby gemacht haben. Überall wird rumgenörgelt und beschimpft – nicht so im Lande Oz von König Zuckerberg dem Ersten.
    Es sei denn, man lästert gemeinschaftlich, also nicht gegen- sondern miteinander. Politisch korrekte Gehässigkeiten, bei denen alle ohne Skrupel und Gewissensbisse auf »Gefällt mir« klicken können, werden natürlich überaus gerne in die Timelines geschrieben. Die gängige Trinität der Online-Lästerkultur sind
    a) strunzdumme Politiker,
    b) stinkblödes Nazipack oder
    c) das deutsche Fernsehprogramm.
    Social Glotzing und »Gefällt mir«-Diarrhö
    Gerade bei der althergebrachten und oftmals schon für tot erklärten TV-Unterhaltung wird deutlich, wie sehr soziale Netze sowohl der Aggressionsabfuhr als auch der Gruppenbildung dienen. Fernsehgroßereignisse aller Art werden live zum laufenden Programm süffisant kommentiert und genüsslich seziert. »Schlag den Raab«, »Eurovision Song Contest«, Olympische Spiele, EM, WM … Immer, wenn ein solches Event über die Flachbildschirme flimmert, wird aus Twitter und Facebook die größte Couch Deutschlands, auf der man sich zum gemeinsamen Fernsehglotzen einfindet. Sozialwissenschaftler und Medienjournalisten, die den Niedergang des familiären TV-Abends für endgültig besiegelt hielten, als Gottschalk »Wetten dass …?« verließ, haben die Gegenentwicklung im Netz übersehen: »Social Glotzing« heißt der neue Trend.
    Es mutet tatsächlich fast wie ein Revival der 70er und 80er Jahre an, der Blütezeit des solidarischen Fernsehkonsums, wenn in den Statusmeldungen der sozialen Netze hochamüsante Konversationen über das laufende Programm geführt werden: »Der Beckmann ist ein Brechmittel!«, »Oh, bitte nicht Bon Jovi!«, »Der Mörder ist der Gärtner«, »Tooooooor!«, »Ich weiß die Antwort! Ich weiß es!«, »Das schafft der niemals« … Gerade so, als stünden Mettigel und Erdbeerbowle auf dem Wohnzimmertisch, genießt man Fernsehshows aller Art im Kreise der Online-Familie, rät und fiebert bei Spielshows mit oder übertrumpft sich mit respektlosen Bemerkungen zur miesen Sportmoderation. In Zeiten sozialer Vereinsamung und Auflösung traditioneller Familienverbände werden hier kollektive Erlebnisse geschaffen, in denen man sich auf das kleinste gemeinsame Opfer einigt und in schönem Einklang drauflosprügelt.
    Das haben in den letzten Jahren weder Kirche noch Staat geschafft. Die plurale Gesellschaft mit ihren höchst fragmentierten Meinungen und Lebensentwürfen legt sich online darauf fest, dass der aktuelle »Tatort« Grütze ist. Man muss es erlebt haben, um die emotionale Kraft dieser selten gewordenen Einigkeit schätzen zu lernen. Ja, es gibt Momente, da rührt einen Facebook zu Tränen.
    Auf der anderen Seite muss ich eine zunehmende »Facebook-isierung« unserer Gesellschaft, ja sogar eine »Ver-Social-Netwörkung« unseres Geistes beklagen. So nach und nach scheint es für den internetaffinen und Social-Media-geprägten Menschen als Meinungsäußerung nur noch das süßliche »Gefällt mir« zu geben – der Zucker im kalten Online-Kaffee. Und so häuft sich dort ein gewaltiger Zuckerberg an, der mittlerweile ins Offline-Leben rüberrieselt.
    Ich merke das an mir selber: Ich höre Nachrichten im Radio, beispielsweise »Regierung stellt neues Euro-Rettungskonzept vor«, und frage mich plötzlich: Darf ich da jetzt auf »Gefällt mir« klicken? Also innerlich, eine andere Option gibt es ja nicht. Das ist schon online hin und wieder problematisch: Man liest auf Facebook eine Statusmeldung wie die von »Freundin« Tina: »Habe mir den Magen verdorben«, und schon kommt man spontan in Schwierigkeiten. Klicke ich da jetzt auf »Gefällt mir«, um mein Mitgefühl zu zeigen? In dem Fall bräuchte man doch dringend einen »Ist Scheiße«-Button oder wenigstens einen »Mir doch egal«-Knopf.
    Zumindest die clevere Online-Werbung funktioniert in Tinas Fall blendend und blendet neben ihrer Statusmeldung ein Werbebanner für Imodium akut ein.
    Wenn man nun auch in der Offline-Welt als einzige Meinungsoption nur noch »Gefällt mir« zur Verfügung hat, wie langweilig werden dann Demos in Zukunft? Heißt es dann statt: »Buhbuhbuh! Schweine! Sauerei!«,
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