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Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen!
Autoren: Tobias Mann
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nur noch »Gefällt uns! Gefällt uns!«, und alle haben sich lieb?
    Ist es also per se schlecht, wenn Facebook zu viel Einfluss auf unser Leben nimmt? Nein, denn mit ein bisschen Kombina­tionsgabe kann Facebook auch offline helfen. Wenn ein paar Stunden vor »Tina hat sich den Magen verdorben« die Statusmeldung »Tina steht im McDrive und wartet auf einen 9er Chicken McNuggets« zu lesen war, ist das doch sehr nützlich bei Entscheidungen rund um die persönliche Nahrungsaufnahme.
    Und wissen Sie was? Das gefällt mir! »Gut, dass ich mit Tina auf Facebook befreundet bin«, möchte man ausrufen. So sieht man wieder, dass es für die erfolgreiche Nutzung von sozialen Netzen immer darauf ankommt, mit wem man dort seinen Umgang pflegt.
    Lügen mit Zuckerguss
    Wen nehme ich an und wen nicht? Gibt es einen Codex, der diese Gretchenfrage 2.0 beantwortet? Wenn Sie ein gläubiger Mensch sind, sollten Sie sich fragen: Was würde Jesus tun, wenn ihn auf BibelVZ die Meldung erreicht: »Judas möchte dein Freund werden«? Im Sinne der Nächstenliebe ist die Antwort klar. Man sollte aber aufpassen, dass man nicht aufs Kreuz gelegt wird. Was, wenn der eigene Chef anfragt? Der Psychotherapeut? Der zuständige Finanzbeamte? Schwere Fragen, denn schließlich eröffnen Sie dem Angenommenen verhältnismäßig tiefe Einblicke in ihre Persönlichkeit. Fotos, Filme, Musik, politische und religiöse Einstellungen – Sie glauben, das alles interessiert niemanden? Melden Sie sich mal als liierter Mensch auf Facebook an und ändern Sie Ihren Beziehungsstatus nach ein paar Wochen von »in einer Beziehung« zu »es ist kompliziert«. Ihnen werden online wie offline heitere Stunden beschert sein. Versprochen!
    Auch wenn es sich auf Facebook trefflich lügen lässt, entsteht beim »Freund« unweigerlich ein Bild von Ihnen. Posten Sie Spiegel-Online-Artikel über das neueste Buch von Peter Sloterdijk oder die Rezension von »Jedermann« in Salzburg, bekommt Ihr Gegenüber natürlich einen anderen Eindruck von Ihnen, als wenn Sie die neue Single vom Wendler loben. Selbst wenn man sich nur wichtig machen will und vor der Internetlektüre Sloterdijk für einen holländischen DJ und »Jedermann« für einen Song von Rammstein gehalten hat, ordnet einen der Facebook-Kontakt mangels besseren Wissens den Bildungsbürgern zu. Das klappt natürlich nur, solange Sie sich bei einem Offline-Treffen nicht hoffnungslos in ein Gespräch über Hugo von Hofmannsthals Gesamtwerk verwickeln lassen. 45
    Auch wenn Sie im »richtigen« Leben kurz vorm Burn-out stehen, lässt sich online dennoch ein Dasein simulieren, als würde einem die Sonne aus dem Allerwertesten scheinen. Da schleift man sich nach durchwachter Nacht an den Rechner und postet kurz vor der völligen Erschöpfung die Statusmeldung »30 km Jogging, 50 Bahnen im Pool, und jetzt ein Frühstück mit O-Saft und Ei. Ein herrlicher Tag beginnt!« Schon geht Ihr gesamter Online-Freundeskreis davon aus, dass Sie einfach eine unerträgliche Frohnatur sind, und beginnt, sein vergleichsweise tristes Leben in Frage zu stellen.
    Schopenhauer schrieb in seinen »Aphorismen zur Lebensweisheit« über das Verhalten in »gewöhnlicher« Gesellschaft: »In solcher Gesellschaft müssen wir daher mit schwerer Selbst­ verleugnung dreiviertel unserer selbst aufgeben, um uns den andern zu verähnlichen.« Als hätte Schopi es geahnt, versucht auch in der Gesellschaft sozialer Netze jeder herauszustechen, ohne die geltende Norm zu verlassen. Wenn vorgebliches Glück die Timelines dominiert, will eben keiner die Spaßbremse sein und passt sich an. So wird gelogen, dass sich die Balken biegen.
    Es ist aber auch unglaublich einfach: Man kann privat der spießigste Mensch sein, samstags regelmäßig nach dem »Wort zum Sonntag« ins Bett gehen und sonntags seinen Modellbausatz vom Petersdom fertigbasteln – auf Facebook kann man so tun, als wäre man der Michael Ammer des neuen Jahrzehnts. Da sitzt man dann mit einer kleinen Plastikversion von Michelangelos römischer Pietà (muss noch trocknen) im Hobbykeller und tippt ins iPhone: »Eben mit Kater aufgewacht. Was für eine Nacht! Party ist mein Leben.« Facebook macht uns zu Pippi Langstrumpf, und wir machen uns die Welt, widdewiddewie sie uns gefällt!
    Sein oder nicht sein
    Während das Lügen online also leichter geworden ist, macht das Internet die Offline-Unwahrheit komplizierter. In Zeiten des Telefons war es gang und gäbe, sich beispielsweise vom Partner verleugnen
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