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Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen!
Autoren: Tobias Mann
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so das wertvolle Regulativ einer persönlichen Sekretärin. Nicht nur, dass man damit die Rechtschreibschwäche vom Boss des DAX -Unternehmens schwarz auf weiß vorliegen hat – zwischen Tür und Angel hingerotzte E-Mails bergen jede Menge Sprengstoff. Dinge, die früher persönlich oder auch am Telefon besprochen wurden, werden heute in knappe Nachrichten gehackt und sind vom Empfänger emotional nur noch bedingt einzuschätzen.
    Wer häufig E-Mails verschickt und empfängt, kennt das Pro blem wahrscheinlich sehr gut: »Du alter Drecksack!« kommt bei einem Bier in der Kneipe mit Augenzwinkern und humorvollem Timbre gesprochen gänzlich anders rüber, als wenn man es kalt und steril in die Betreffzeile einer elektronischen Nachricht schreibt.
    Die Lösung für all diese Probleme kann nur sein, das an sich wunderbare Medium E-Mail wieder mehr wie Post im herkömmlichen Sinne zu behandeln.
    In der Regel wird auch niemand einen richtigen Brief ohne Anrede und Grußformel verschicken, es sei denn, man schneidet die Buchstaben aus der Zeitung aus, um ein Lösegeld zu erpressen.
    E-Mails ohne »Hallo« und »Tschüss« sind zwar an der Tagesordnung, befinden sich für mich aber hinsichtlich ihrer Höflichkeit in einer Liga mit anonymen Drohbriefen. So gewinnt eine Konversation über die Planung einer gemeinsamen Silvesterfeier schnell eine Schärfe, die selbst die Gulaschsuppe am Neujahrsmorgen nicht zu toppen vermag.
    »Hallo Holger, kannst du bitte noch etwas Glühweingewürz mitbringen? Danke vorab und Gruß, Marianne« – das macht Freude auf die Zusammenkunft, wohingegen ein knappes »Kauf du Glühweingewürz? Ok?« den Gedanken aufkommen lässt, extra für die unverschämte Marianne ein wenig Abführmittel beizumischen. Wenn dann die aus der Hüfte geschossenen Wortfetzen grammatikalisch und in Sachen Rechtschreibung dem Niveau eines Drittklässlers entsprechen, fühle ich mich als Adressat nicht ernst genommen.
    Macht mich das zu einem E-Mail-Spießer? Ist bei allem anarchischen Geist, den ich mir selber zuschreibe, der Wunsch nach mehr Sorgfalt beim Mailverkehr nicht »Punkrock« genug? Vielleicht, aber dennoch empfinde ich selbst eine punkige E-Mail wie »Hallo Marianne, fick dich ins Knie und kauf dir dein scheiß Glühweingewürz doch selber! Gruß, Holger« mit Anrede, Grußformel und korrekter Grammatik wirkungsvoller als ein armseliges »Bitch!«
    E-Post-traumatische-Störungen
    Unser Streben nach Individualität treibt zuweilen wilde Blüten, die auch schon in die ein oder andere E-Mail wuchern. Einige der selbsternannten Individualisten geben ihrer Kreativität immer noch damit Ausdruck, dass sie E-Mails mit bunten, gemusterten Hintergründen, sogenanntem digitalen Briefpapier, ulkigen Schriftarten und ungewöhnlich großen Buchstaben versehen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von der »Poesiealbumisierung des E-Mail-Verkehrs«.
    Gerne werden in solche Mails nämlich auch kleine Lebensweisheiten, animierte Smileys oder glitzernde Sternchen eingebunden, womit sie dann selbst von hartgesottenen »Hello Kitty«-Fans nur noch unter Schmerzen und Übelkeit betrachtet werden können.
    Fast scheint es, als würden viele verstorbene Websites der 90er Jahre heute als untote E-Mails ihr Unwesen treiben. Was in privater Korrespondenz zwar schon widerlich, aber irgendwie noch tolerabel ist, wirkt in offizieller E-Post fast schon wie eine Verarsche des Empfängers. Der Finanzbeamte, den man um Aufschub für die Abgabe der Steuererklärung bittet, muss schon eine ungewöhnlich infantile Ader haben, um eine pinkfarbene E-Mail mit grünen Buchstaben in Schriftgrad 30 wertschätzen zu können. Ist sie obendrein mit einer blinkenden Prinzessin Lillifee neben der Grußformel » HDGDL « 160 bestückt, steht einer umfassenden Steuerprüfung nichts mehr im Weg.
    Es wird Zeit, der »Poesiealbumisierung« Einhalt zu gebieten und die Absender solcher Mails auf analogem Weg und in einer Sprache, die sie verstehen, auf ihre Verfehlungen hinzuweisen. Senden Sie ihnen am besten einen parfümierten Postbrief mit folgendem Gedicht:
    »Dies Briefchen send’ ich, um zu sagen,
    wie sehr mich deine E-Mails plagen.
    Sie sind zu bunt, zu wild, zu krud’
    und tuen meiner Seel’ nicht gut.
    Sollt’ eine dieser Hässlichkeiten
    noch mal den Weg durchs Netz bestreiten
    und zu mir ins Postfach kriechen,
    wirst du an meinem Fäustchen riechen!«
    Diesen Text könnten Sie übrigens auch neunzig Prozent der Newsletter-Versender im Netz
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