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Hilfe, die Googles kommen!

Hilfe, die Googles kommen!

Titel: Hilfe, die Googles kommen!
Autoren: Tobias Mann
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Störung …«.
    Irrsinn in Tüten!
    Tempus fuckit!
    Aufgrund des hemmungslosen E-Mail-Versands ist eine weitere Gepflogenheit entstanden, die, vorsichtig ausgedrückt, des Teufels ist. Es herrscht die Meinung, man müsse auf E-Mails innerhalb weniger Stunden, am besten binnen Sekunden, antworten. Warum? Nun, weil es eben geht.
    Nicht selten bekommt man zehn Minuten nach dem Empfang einer elektronischen Nachricht eine SMS : »Hast du meine Mail nicht bekommen?« Schlimmer noch, man fühlt sich seinerseits immer öfter dazu verführt, eine ebensolche Drängelnachricht zu verschicken.
    Ich bekenne mich schuldig: Auch ich habe mich auf diesem Wege schon an manchem Korrespondenzpartner versündigt. Die Grenzen zwischen Chat und E-Mail sind mittlerweile unangenehm fließend. Man sagte mir vor Jahren einmal, die angemessene Reaktionszeit auf eine Mail seien 24 Stunden. Woher diese Regel stammt? Wahrscheinlich stand sie auf den Gesetzestafeln, die Moses auf dem Berg Sina-I vom Gott des Internets bekommen hat: 158 »Wahrlich, ich sage euch, es sei innerhalb eines Tages zu antworten. Amen!«
    Damit könnte ich leben, aber irgendwie scheinen die Menschen ums goldene Kalb der Beschleunigung zu tanzen und einen Dreck auf die Anweisungen des Schöpfers zu geben. Die Geschichte wiederholt sich und nimmt immer das gleiche schlimme Ende. So sitzen einem die unbeantworteten Mails wie jede Menge kleiner Dämonen im Nacken, die uns ohne Unterlass »Beantworte mich! JETZT ! SOFORT !« in die Ohren zischeln.
    Warum gibt es noch keine Netz-Exorzisten, die diese Quälgeister mit gekreuzten Tastaturen in die Hölle zurücktreiben, aus der sie offenbar ausgebrochen sind? Das wäre bitter nötig, denn die Besessenheit greift immer mehr um sich. Es regiert das Paradoxon: Jeder findet’s schrecklich, aber alle machen mit.
    E-Mails mit wichtigem, komplexem Inhalt werden heute schon mal in der überfüllten S-Bahn beantwortet, eine Hand an der Haltestange, die andere, mit dem schreibbereiten iPhone im feuchten Nacken des ungewaschenen Nebenmanns. Zwischen zwei Stationen fällt man dann folgenschwere Entscheidungen, kündigt Freundschaften oder sogar seinen Job.
    Eigentlich kommt niemand auf die Idee, seine notarielle Korrespondenz während der Beförderung im öffentlichen Nah verkehr zu bearbeiten, zumindest wenn sie in Papierform vorliegt. Aber steht man mit dem Rechtsanwalt im elektronischen Schriftwechsel, verliert man plötzlich alle Hemmungen und tippt sogar sein Testament im Großraumabteil der Regionalbahn. Der Sitznachbar ist dann hinterher ebenfalls im Bilde und kann im Rahmen seiner Möglichkeiten rechtlichen Beistand geben. 159
    Der an sich so unmoderne Vorgang des handschriftlichen Briefeschreibens hat einen großen Vorteil: Es dauert ein bisschen, bis so ein Schreiben erstellt ist. »Wieso ist das ein Vorteil?«, wird der ein oder andere jetzt fragen. Der Akt, mit seiner Sauklaue aufs Papier zu schmieren, einen Umschlag zu suchen, den Brief einzustecken, zuzukleben, eine Briefmarke zu erwerben und den Brief dann entweder am Postschalter oder im Briefkasten auf seinen Weg zu schicken, bietet unendlich viele Momente zum Nachdenken: »Will ich diesen Brief tatsächlich so abschicken?«
    Im Fall der E-Mail stellt sich diese Frage nur bis maximal »Will ich …«, und schon hat man auf »Senden« geklickt. Das berühmte »Eine Nacht darüber schlafen« kommt uns nach und nach abhanden. Wer hat nicht schon in spontaner Rage eine E-Mail-Antwort verfasst, die er am nächsten Morgen bitter bereut hat? Nicht auszudenken, wie viele kriegerische Ausein­andersetzungen unsere Mutter Erde sonst noch gesehen hätte, wenn Staatschefs, Feldherren, Diktatoren und Monarchen schon immer im unmittelbaren Kontakt miteinander gestanden hätten. Unsere Welt wäre wahrscheinlich eine andere und sähe statt wie bei »Star Trek« eher so aus wie bei »Mad Max«.
    Vor diesem Hintergrund ist die permanente Simserei unserer Kanzlerin mehr als beängstigend. Was, wenn Sie dem Innenminister auf die Frage, wie man mit der Opposition umgehen solle, scherzhaft »Alle einsperren!« antwortet, und das Emoticon für Ironie »;-)« dabei vergisst? Ruckzuck sind die Berliner Gefängnisse voller Grüner und Linker, und eine Staatskrise ist unausweichlich.
    Halten Sie es für eine gute Sache, dass die Oberen einer Gesellschaft unkontrolliert schriftlich miteinander kommunizie ren? Selbst Chefs von Großkonzernen beantworten ihre E-Mails mittlerweile oft selbst und umgehen
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