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Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I

Titel: Hexer-Edition 21: Der Sohn des Hexers I
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Lippen zu fließen begann. Er spürte es nicht einmal; auch nicht den Schmerz, der es begleitete. Er wankte vor Anstrengung, kämpfte gegen eine Ohnmacht und dann wieder gegen das Aufbegehren der Urkräfte der Zeit, die sich instinktiv gegen seinen Zugriff wehrten.
    Nicht genug.
    Er. Musste. Es. Tun.
    JETZT.
    Und es gelang.
    Irgendetwas in ihm schien zu zerbrechen, eine unsichtbare Wand, die sich seinen Kräften bisher mit aller Macht entgegengestemmt hatte und dann, endlich, nachgab. Gleich darauf loderten die Flammen weiter, aber etwas an ihren Bewegungen war verändert; auf eine sonderbar bizarre, Schrecken erregende Art. Sie schlugen nicht mehr länger aus der Tür und den geschwärzten Fenstern, um dann in der Luft zu zerfasern wie rot-orangene Trugbilder, sondern entstanden aus dem Nichts und krochen dann ins Haus zurück.
    Die Zeit lief zurück.
    Howard spürte deutlich den Odem einer fremden, unbegreiflichen Welt, der ihn streifte, vorüberging und zurückkehrte, wie ein unsichtbares Raubtier, das im Vorbeigehen Witterung aufgenommen und sich erst nach einer Sekunde entschieden hatte sich die Beute etwas genauer zu besehen. Er spürte wie das Fremde ihn und Rowlf einzuhüllen begann. Gleich darauf wurde es dunkel um sie herum.
    Aber es war keine vollständige Finsternis. Nicht in dem Sinne, in dem er das Wort bisher gebraucht hatte. In ihr war kein Licht, sondern etwas Anderes, Fremdartiges, das sein Verstand nicht zu erfassen in der Lage war. Blauschwarze Schemen aus zusammengeballtem Nichts tanzten vor seinen Augen, formten sich zu bizarren Fratzen und Trugbildern und vergingen wieder, noch bevor er sie richtig wahrnehmen konnte. Plötzlich hatte er Angst. Unvorstellbare Angst.
    Was tue ich hier?, dachte er entsetzt. Was um alles in der Welt stand er im Begriff zu tun? Wenn nicht er, wer dann sollte wissen, welches unvorstellbare Risiko dieses Vorhaben darstellte, und nicht – o nein, längst nicht! – nur für Rowlf und ihn. Die Zeit war ein sensibles Gebilde, ein Ding von unvorstellbarer Kraft und Urgewalt auf der einen Seite und doch zugleich zerbrechlich wie ein filigranes Gespinst aus spinnwebdünnem Glas. Vor allem die Vergangenheit. Jede noch so winzige Veränderung konnte katastrophale Folgen haben.
    Und doch hörte er nicht auf, sondern vergrößerte seine Anstrengung sogar noch. Es ging um Roberts Leben, um weit mehr, um das Überleben – vielleicht – der ganzen Welt, zumindest aber der menschlichen Rasse.
    Auch Rowlf wusste das und so schwieg er und sah nur aus schreckgeweiteten Augen zu, was sein Freund und Mentor tat – obgleich ihm die Gefahr ebenso deutlich bewusst war wie Howard. Bereits im Hilton-Hotel, wo nach der Trauung die Hochzeitsfeierlichkeiten stattgefunden hatten, hatte Rowlf bemerkt, wie sich die Stadt zu … ja, irgendwie zu verändern begann, ohne dass er diese Veränderung konkret in Worte hätte fassen können, denn es war ein Wandel, der auf einer für menschliche Sinne nur unzureichend wahrnehmbaren Ebene der Realität stattfand. Das hatte ihn im Grunde erst dazu getrieben nach Andara-House zurückzukehren; und während er sich auf dem Weg zum Ashton Place befand, waren diese Veränderungen mehr und mehr fortgeschritten.
    Es waren nur Kleinigkeiten, winzige Details, die sich einer Betrachtung immer wieder auf unheimliche Weise zu entziehen schienen, die aber dennoch unübersehbar waren: hier eine Linie, die nicht mehr so war, wie er sie in Erinnerung hatte, dort ein Winkel, der beim Hinsehen in den Augen schmerzte, weil er nicht mehr der euklidischen Geometrie zu entsprechen schien. Schatten, die dunkler und irgendwie auch tiefer waren als sonst, wie schwarze Löcher in der Wirklichkeit, hinter denen sich etwas verbarg, das zu entsetzlich war um es länger als einen Sekundenbruchteil anzusehen. Menschen, die die Straßen bevölkerten und ihm sonderbar missgestaltet erschienen, ohne dass er genau sagen konnte, warum, als wären sie unbestimmbare finstere Lebewesen aus einer anderen Welt.
    Und über dem Horizont von London erhob sich drohend ein riesiger, zyklopischer Schatten, ein Moloch aus Gestalt gewordener Furcht, der sich anschickte, die gesamte Stadt zu verschlingen …
    Nein, es hatte keine andere Möglichkeit gegeben als Howard zu diesem Schritt zu überreden, dennoch wünschte Rowlf beinahe es nicht getan zu haben. Alles hier machte ihm Angst; sie hatten sich in eine Welt vorgewagt, in der sie nicht sein sollten, die Menschen besser auf ewig verschlossen
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