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Wirbelsturm

Wirbelsturm

Titel: Wirbelsturm
Autoren: James Clavell
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    Im Zagros-Gebirge: Sonnenuntergang. Jetzt berührte die Sonne den Horizont; der Mann zügelte müde sein Pferd und war froh, weil er zum Gebet absitzen konnte.
    Er hieß Hussain Kowissi und war ein kräftiger, 34 Jahre alter Iraner mit heller Haut, sehr dunklem Bart und ebensolchen Augen. Über seine Schulter hing ein sowjetisches AK47-Sturmgewehr. Zum Schutz gegen die Kälte war er vermummt; er trug einen weißen Turban, ein dunkles, wallendes Gewand voller Schmutzspuren, darüber die grobe, mit einem Gürtel zusammengehaltene Schaffelljacke der Kaschkai-Nomaden und dazu abgetragene Stiefel. Weil er die Ohren bedeckt hatte, hörte er den fernen Lärm des näherkommenden Jet-Helikopters nicht. Hinter ihm zerrte sein müdes Lasttier, eine Kamelstute, ungeduldig am Halfter, weil sie sich nach Futter und Ruhe sehnte. Er schimpfte sie zerstreut, während er absaß.
    In dieser Höhe, beinahe 2.500 Meter über dem Meer, war die Luft dünn und kalt, sehr kalt. Dichter Schnee, den der Wind zu Wehen auftürmte, bedeckte den Weg, so daß er glatt und trügerisch wurde. Unterhalb des Iraners wand sich der wenig begangene Pfad zu fernen Tälern und schließlich nach Isfahan, von wo Hussain kam. Vor ihm führte er gefährlich steil durch die Felsen bergauf und weiter in andere Täler, die sich zum Persischen Golf öffneten. Dort lag der Ort Kowiss, in dem er zur Welt gekommen war, in dem er jetzt lebte und nach dem er sich benannt hatte, als er Mullah geworden war.
    Weder Gefahr noch Kälte störten ihn. Wie die Luft empfand er auch die Gefahr als etwas Reines.
    Es ist beinahe so, als wäre ich wieder ein Nomade, dachte er. Es ist wie in den alten Zeiten, als uns mein Großvater führte und alle Stämme der Kaschkai von den Winterweiden zu den Sommerweiden wandern konnten; jeder Mann ein Pferd und ein Gewehr besaß, unsere Schaf-, Ziegen- und Kamelherden zahlreich waren, unsere Frauen unverschleiert gingen, die Stämme frei lebten, wie es unsere Vorväter seit Jahrtausenden getan hatten; nur dem Willen Gottes untertan. Diese alten Zeiten waren vor nicht ganz 60 Jahren zu Ende gegangen. Reza Khan, der Soldat und Emporkömmling, hatte ihnen ein Ende gesetzt. Er hatte sich mit Hilfe der schändlichen Briten des Throns bemächtigt, sich selbst zu Schah Reza, dem ersten Pahlewi-Schah, ausgerufen, uns dann mit Hilfe seines Kosakenregiments an die Kandare genommen und versucht, uns auszurotten.
    Es war Allahs Werk, daß Schah Reza von seinen ruchlosen britischen Herren verbannt wurde, so daß er von allen vergessen starb, Allahs Werk, daß Schah Mohammed vor wenigen Tagen fliehen mußte, Allahs Werk, daß Khomeini zurückgekehrt ist, um den heiligen Krieg anzuführen, und es ist Allahs Wille, daß ich morgen oder übermorgen den Märtyrertod sterben werde, Allahs Ermessen, daß Sein Wirbelsturm uns mitreißt und daß es zur endgültigen Abrechnung mit allen Kreaturen des Schahs und allen Fremden kommen wird.
    Der Hubschrauber war jetzt näher, aber Kowissi hörte ihn noch immer nicht, denn das Heulen des böigen Windes übertönte den Motorenlärm. Zufrieden holte Hussain seinen Gebetsteppich hervor und breitete ihn auf dem Schnee aus; auf seinem Rücken schmerzten immer noch die Striemen, welche die Peitsche hinterlassen hatte. Er schöpfte eine Handvoll Schnee, wusch sich feierlich Hände und Gesicht für das vierte Gebet des Tages, wandte sich dann nach Südwesten, der heiligen Stadt Mekka zu, die über 1.600 Kilometer entfernt in Saudi-Arabien lag, und richtete seine Gedanken auf Allah.
    »Allah-u Akbar, Allah-u Akbar , la illah illa Allah …« Während er die Schahada wiederholte, warf er sich zu Boden und versenkte sich in die arabischen Worte: »Allah ist der Größte, Allah ist der Größte. Ich bekenne, daß es keinen Gott außer Allah gibt, und Mohammed ist Sein Prophet. Allah ist der Größte, Allah ist der Größte. Ich bekenne, daß es keinen Gott außer Allah gibt, und Mohammed ist Sein Prophet …«
    Der Wind frischte auf und wurde noch kälter. Jetzt vernahm Kowissi durch die Ohrenschützer das Dröhnen des Turbinenmotors, das stetig zunahm, in seinen Kopf drang, seinen Frieden vertrieb und seine Konzentration störte. Zornig öffnete er die Augen. Der nahende Hubschrauber flog kaum 60 Meter über dem Boden und stieg geradewegs zu ihm herauf.
    Jetzt nahm Hussain an, es handle sich um einen Armeehelikopter, und plötzlich faßte ihn die Angst, daß sie ihn suchten. Dann erkannte er die britischen Farben Rot, Weiß
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