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Hexenstein

Hexenstein

Titel: Hexenstein
Autoren: Jakob Maria Soedher
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Gesicht, das Vertrauen erweckte. Eine dunkelgrüne Kittelschürze hing verloren an ihr herab und verdeckte halbwegs eine dunkelrote Bluse und eine braune Stoffhose. Ihre Füße steckten barfüßig in abgeschnittenen Gummistiefeln. Sie mochte um die siebzig Jahre alt sein und man hätte sie für ein altes Weiblein halten können, wäre ihre Stimme nicht gewesen. So wenig Schielin auch bisher gehört hatte, verriet sie mehr von dem Menschen, der ihm gegenüberstand. Es war ihre Bestimmtheit, ihre Klarheit, die darüber Auskunft gaben, dass sie gewohnt war, dass man ihr zuhörte. Sie klang dabei aber nicht scharf, unfreundlich, oder abweisend.
    »Und? Haben Sie schon etwas gefunden?«
    »Nein. Wir sind gerade erst gekommen«, sagte Schielin und ärgerte sich darüber, sich ihr gegenüber zu rechtfertigen.
    »Da war doch gerade noch einer dabei, wo ist der denn?« Sie schob den Oberkörper zur Seite und reckte den Kopf, um an Schielin vorbei hinüber zur Hofeinfahrt zu sehen.
    Schielin legte sein dienstliches Lächeln auf. »Mein Kollege ist auf der anderen Seite des Hauses. Aber erzählen Sie doch bitte, warum Sie angerufen haben?«
    Sie sah ihn verständnislos an. »Ja, weil was passiert ist da drüben.« Ihre linke Hand wies dabei in einer kurzen, heftigen Bewegung zum Haus; die Faust der rechten ruhte auf dem Brustbein und fasste ein Stück Stoff, was nach Besorgnis aussah.
    »Haben Sie etwas gesehen oder gehört, Frau …«
    Sie überging die unausgesprochene Frage nach ihrem Namen und verfiel in unwirschen Befehlston.
    »Ja, da muss er ins Haus gehen und nachsehen, muss er doch, wenn er von der Polizei kommt, oder!«
    »Das machen wir noch. Wie lautet denn Ihr Name?«
    »Erna.«
    »Und weiter?«
    »Kinkelin.«
    »Und was hat Sie veranlasst, Frau Kinkelin, die Polizei zu verständigen?«
    Sie deutete wieder auf das Haus. »Ja, Sorgen habe ich mir gemacht. Schon drei Tage habe ich sie nicht mehr gesehen. Verschwunden …«
    »Wer wohnt denn in dem Haus?«
    »Ja, unsere Nachbarn«, sagte sie ernst, ohne Schielin damit ärgern zu wollen.
    Der hoffte, dass Funk bald dazukommen würde. »Wie heißen Ihre Nachbarn?«
    »Kohn heißen sie, Kohn. Jeden Tag fährt sie mit dem Fahrrad, jeden Tag, runter zum Bauern. Holt dort die Milch. Immer schon früh. Grüßt immer. Immer. Und macht den Garten so schön, so viel Arbeit ist das. Und auf einmal nichts mehr. Seit Sonntag nichts mehr. Hat mir nichts gesagt und auch nicht angerufen. Das war noch nie, so was. War ja auch niemand da bei mir und bei meinem Mann auch nicht. Das hat sie noch nie gemacht, so was, einfach weggehen und schon gar nicht so. Das Licht brennt in der Stube die ganze Nacht und den ganzen Tag. Schaltet niemand aus.«
    »Waren Sie schon im Haus und haben nachgesehen?«, wollte Schielin wissen.
    »Heut Morgen war ich drüben. War kurz in der Stube und habe gerufen. Hat aber niemand geantwortet.«
    »Ist die Haustür offen?«
    »Ja, ich habe sie offen gelassen.«
    Sie hat also einen Schlüssel, dachte Schielin. »Könnte es nicht doch sein, dass sie weggefahren sind?«
    »Sie sind ganz sicher nicht in Urlaub gefahren. Das Auto ist ja auch noch da und es ist ja auch so schön hier, mit dem Garten.« Sie ließ ihre Hand über das Grundstück ihrer Nachbarn schweifen. Als sie Richtung Haus zeigte, erschlaffte ihr Arm. Sie drehte sich grußlos um und verschwand hinter dem Chinagras. Schielin sah ihr verdutzt nach.

    Er ging zurück zum Haus. Funk stand vor der Tür und kramte am Briefkasten. Zwei Ausgaben der Frankfurter Allgemeinen steckten im Kasten. Die gestrige Dienstagsausgabe und die heutige. Auf dem Klingelschild stand in akkuraten, handgeschriebenen Lettern: Kohn.
    Schielin erzählte in wenigen Worten von seiner Begegnung mit der Nachbarin und meinte: »Dann schauen wir halt mal rein.«
    *
    Die Sekunden nach dem Klingeln verstrichen, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Wäre auch zu schön gewesen, drückte Funks Mienenspiel aus. Vorsichtig drückte er den Türgriff nach unten und tatsächlich klackte das Schloss – die Tür war unversperrt.
    Der Hausgang war duster und eine angenehme Kühle war sofort zu spüren. Es roch herb und würzig nach einer Mischung aus Holz und etwas Unbekanntem, Säuerlichem, irgendwie nach Werkstatt. In der Tür, die zum Wohnraum führte, wie Schielin vermutete, waren drei matte Glasscheiben, die nur wenig Licht durchließen. Es reichte jedoch aus, um zu erkennen, was hier im Gang herumstand und -hing: Schuhe am Boden, Jacken und
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