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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
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schreckliche Krankheiten, Grausamkeiten, Schicksale, die
seine Phantasie überstiegen hatten. Doch all das hatte nicht in
sein eigenes Leben eingegriffen. Er hatte in seiner behaglichen
Pastorenwohnung in dem palastähnlichen Pfarrhaus hinter einer
hohen Mauer gewohnt, die ihm immer wie ein Sinnbild seines Lebens
erschienen war. Und nun lebte er nur vier Häuser weiter, in
derselben Straße, in einem eigenen, dunklen, kalten, ihm
unheimlichen Haus. Ob die Katzen sich an ihn gewöhnen
würden? Er hoffte es. Denn ohne sie läge er auf der
Straße.
    Er stand auf und ging an dem Novizen vorbei, der ihm freundlich
zunickte und ihn ziemlich genau anschaute. Er schien immer noch
irritiert zu sein. Riecht man es, ist es so etwas wie Stallgeruch?,
dachte Arved und musste unwillkürlich lächeln. Der Novize
erwiderte sein Lächeln.
    Allmählich setzte draußen die Dämmerung ein.
Sachte Schatten liebkosten den Steinboden und die Holzbänke.
Arved blieb vor der Chorschranke stehen. Das Gestühl der
Mönche mit den alten, großen Antiphonarien wirkte wie aus
der Zeit herausgefallen. Auch das Gestühl stammte aus den
fünfziger Jahren, doch es war nach alten Vorbildern getischlert.
Schatten sammelten sich zwischen den Bänken, Schatten klebten an
dem großen Kreuz über dem schlichten Altar. Arved war es,
als fielen sie wie Spinnweben herab.
    Die Madonna in der Apsis schien den Kopf zu drehen.
    Arved blinzelte erschrocken. Was war nur mit ihm los? Zuerst die
seltsamen Aktivitäten in den Dörfern und nun diese lebendig
gewordene Madonna. Er schüttelte den Kopf und musste
lächeln. Nie hätte er geglaubt, dass ihm seine
Suspendierung so nahe gehen könne.
    Dabei hatte er sie bewusst herbeigeführt. Oder zumindest
billigend in Kauf genommen. Seine Tat hatte nichts anderes nach sich
ziehen können. Doch gleichzeitig hatte sie dafür gesorgt,
dass er ein großes Haus erhalten hatte. Ein dunkles,
unheimliches, schattenverklebtes Haus.
    Und einen großen Wagen. Einen Wagen, in dem er angestarrt
und entweder belächelt oder ausgelacht wurde.
    Und zwei schwarze Katzen. Er mochte keine Katzen.
    Und ein riesiges Vermögen. Das an die Pflege der Katzen
gebunden war.
    Er sah die Madonna an, die nun wieder ihre alte Position
eingenommen hatte. Als er bemerkte, dass die Mönche zur Vesper
in den Chorraum zogen, ging er zurück in eine der Bänke,
setzte sich und lauschte ihren Gesängen, die immer so beruhigend
auf ihn gewirkt hatten. Dabei ließ er die Gedanken schweifen,
während die Schatten immer dichter wurden. Er hatte ein
behütetes Leben aufgegeben, hatte sich zunächst Armut und
Elend ausgesetzt, nur um kurze Zeit später auf wundersame Weise
aufgefangen zu werden. Fast glaubte er, darin das Walten einer
Vorsehung zu erkennen. Er musste wieder lächeln und
schüttelte ganz leicht den Kopf.
    Wann hatte es begonnen? Nicht damals, als er ins Priesterseminar
eingetreten war. Auch nicht bei seiner Weihe und beim Antritt seiner
ersten Kaplanstelle in Koblenz. Und erst recht nicht, als er die
Pfarre Sankt Paulin in Trier angeboten bekam. Er war begeistert
gewesen, denn Sankt Paulin war eine der ältesten Pfarreien in
Deutschland. Schon gegen Ende des vierten Jahrhunderts war hier eine
Basilika bezeugt und der Boden war mit dem Märtyrerblut der
thebäischen Legion getränkt. Nein, er konnte keinen
konkreten Zeitpunkt bestimmen. Vielleicht war es Lydia Vonnegut
gewesen, vielleicht hatte sie ihm ihr Gift eingeträufelt –
oder ihm die Augen geöffnet. Er wusste es immer noch nicht.
    Er bemerkte nicht, dass die Mönche ihre Vesper schon beendet
hatten und durch das Querschiff auszogen. Er saß da, mit einem
gefrorenen Lächeln auf den Lippen, und schwamm durch die
Vergangenheit.

 
2. Kapitel
     
     
    »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Sonntagspredigt«, hatte
Lydia Vonnegut gesagt, als Arved Winter am nächsten Tag, seinem
freien Tag, neben ihrem Bett saß.
    Er kam nicht gern in das alte Haus in der Palmatiusstraße 8,
doch er sah es als seine Pflicht an, dieser sterbenden Frau
beizustehen.
    »Sie waren in der Kirche?«, fragte Arved erstaunt und
verlagerte ein wenig das Gewicht auf dem knarrenden Holzstuhl. Ich
muss abnehmen, dachte er, als sei dies das Wichtigste in seinem
Leben. Dabei gab es doch nun etwas ganz anderes – etwas, das ihm
das Genick brechen konnte.
    »Nein, aber Else hat es mir berichtet. Sie wissen ja, wie
dieses dumme Ding jede Woche in die Messe rennt, damit sie die
Sünden abbüßt, die sie mir
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