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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
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durch das Tal der Salm. Die Leuchtkegel der Scheinwerfer
malten bleiche Flecken auf die Bäume und fuhren mit fahlen
Fingern über Wiesen und Gebüsch. Eine Abfahrt links von der
Straße, ein kleiner Torbogen, darüber angestrahlt die
Worte: Molitors Mühle. Ein Restaurant. Erst jetzt
erinnerte sich Arved daran, dass er an diesem Tag noch nichts
gegessen hatte.
    Er lenkte den schweren Wagen langsam in die Einfahrt und kam an
das Restaurant, eine ehemalige Mühle an der Salm, die einladend
beleuchtet war. Er stellte den Bentley auf den großen
Parkplatz, wo er allein stand und wie ein urzeitliches Ungetüm
wirkte. Er drehte den Motor ab und verließ den Wagen. Ein
kurzer Blick auf die Speisekarte verriet ihm, dass es sich hier um
ein Feinschmeckerrestaurant handelte. Früher hätte er sich
kaum erlauben können, hier einzukehren, doch jetzt war er
vielfacher Millionär.
    Er konnte es noch immer nicht glauben. Unglaube. Und genau dieser
Unglaube hatte ihn reich gemacht. Reich? Oder nicht vielmehr arm?
Hatte er seine Seele verkauft?
    Er betrat den Gastraum; tatsächlich war er allein hier.
Sofort kam ein Ober, wies ihm einen Tisch an und reichte ihm die
Speisekarte. Arved wählte Lammrücken mit Rosmarinbutter und
dazu einen Ahrwein. Leise Musik drang aus verborgenen
Lautsprechern.
    Als der Ober das Essen brachte, meinte Arved: »Nicht viel los
heute.«
    »An diesem Abend ist nie viel los«, antwortete der Ober,
ein älterer Mann mit einem dünnen Oberlippenbart und
erstaunlich bleicher Haut.
    »Walpurgisnacht?«
    Der Ober nickte, stellte ihm das Essen mit einer eleganten
Bewegung hin und zog sich wieder zurück. Arved legte sich die
gestärkte Leinenserviette über den Schoß und
aß. Es schmeckte vorzüglich und auch der Wein war eine
gute Wahl gewesen – nicht zu schwer, aber fruchtig und
vollmundig. Doch der rechte Genuss wollte sich nicht einstellen.
    Walpurgisnacht. Hexennacht.
    Nie zuvor hatte Arved so deutlich die Gegenwart von etwas
gespürt, das er nur mit den Begriffen des Geisterreiches zu
beschreiben vermochte. Wenn es keinen Gott gab, dann gab es auch
keine Geister, kein Jenseits, dann war alles mit dem Tod zu Ende.
Dennoch rührte ihn dieser Abend an. Er kaute auf dem zarten Lamm
herum, als sei es ein zähes Steak.
    Hexen überall. Hier in der Eifel, in dieser Nacht, in der
sich die Bewohner nicht einmal trauten, essen zu gehen, der Geist
einer Hexe in seinem Haus, das er noch nicht als sein Zuhause ansehen
konnte und vielleicht nie würde ansehen können. Aber er war
zu müde, in absehbarer Zeit noch einen Umzug hinter sich zu
bringen und eine neue Bleibe zu suchen.
    Als der Ober abräumte, fragte Arved: »Warum geht in
dieser Nacht niemand aus?«
    Der Ober lächelte, während er das schmutzige Geschirr
geschickt in einer Hand balancierte. »Aber jedermann geht aus,
mein Herr. Nur nicht hierhin, sondern auf den Tanz in den Mai. Und
wer nicht ausgeht, treibt mit den anderen Schabernack. Das ist eine
alte Tradition hier.«
    Arved zahlte und ging. Und war beruhigt. Da hätte er
tatsächlich beinahe geglaubt, dass die uralte heidnische Angst
vor dieser Nacht noch in der hiesigen Bevölkerung weiterlebte.
Sogar er selbst hatte ein seltsames Gefühl gehabt. Er
schüttelte den Kopf über seine Dummheit und verließ
das Lokal. Noch immer hatte er keine Lust, nach Trier
zurückzufahren. Er setzte den alten Bentley in Bewegung,
ließ sich wieder treiben, bog nach Eisenschmitt ab, sah auch
hier huschende Gestalten, die unförmige Gegenstände hin und
her schleppten, doch nun hatte er nur noch ein Lächeln
dafür übrig. Und ein Lächeln für sich selbst.
Für seine wabernden, nebelhaften Ängste und Phantasien.
    Er durchquerte das Dorf langsam. Einmal musste er heftig bremsen,
weil plötzlich vor ihm auf der Straße eine schwarze Katze
saß. Sie sah genauso aus wie Lilith. Oder wie Salomé.
Sie lief nicht weg, sondern schaute geradewegs in die Lichtkegel des
Autos. Er wollte schon aussteigen und sie verscheuchen, als sie
plötzlich verschwunden war. Er hatte sie nicht fortlaufen sehen.
Arved atmete auf und fuhr vorsichtig weiter.
    Hinter Eisenschmitt führte die Straße steil bergan,
tauchte in einen dichten Lärchenwald ein und stieß auf
eine etwas größere Straße, die aus dem Nichts zu
kommen schien und den Wegweisern zufolge nach Manderscheid
führte. Arved wusste, dass bei Manderscheid eine Auffahrt zur
Autobahn lag. Inzwischen war es bereits nach neun Uhr und leichter
Regen setzte ein. Es war Zeit, nach
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