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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
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Recreatio-Haus der
Benediktiner von Münsterschwarzach, und danach wieder wie
gewohnt seinen Dienst versehen?
    Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Entsetzen.
    Else, Lydia Vonneguts Haushälterin, hatte Arved vor einem
Jahr gebeten, sich um ihre Arbeitgeberin zu kümmern, auch wenn
sie mit der Kirche nichts am Hut habe. Else hatte sich davon eine
gewisse Entlastung versprochen, und Arved hatte gehofft, Lydia
Vonnegut vielleicht sogar für die Kirche zu gewinnen. Aber es
war anders gekommen. Schon damals war die alte Dame, eine steinreiche
Witwe, deren vor zehn Jahren gestorbener Gatte ein erfolgreicher
Bauunternehmer gewesen war, sterbenskrank gewesen. Als sie die
Diagnose Krebs erhielt – Bauchspeicheldrüsenkrebs –,
fand sie sich rasch damit ab und verweigerte jede Art von Behandlung:
keine Strahlentherapie, keine Chemotherapie, nichts. Sie sagte, sie
wolle in Würde sterben. Arved hatte diese Entscheidung sehr
beeindruckt, doch als er sein christliches Rüstzeug auspacken
wollte, lachte sie ihm nur ins Gesicht und machte ihm
unmissverständlich klar, dass sie Atheistin sei. Er fragte sich
kurz, ob er in diesem Fall überhaupt etwas für sie tun
könne. Sie schien seine Gedanken erraten zu haben und bat ihn
inständig zu bleiben. Sie habe niemanden, mit dem sie sich
unterhalten könne, und es verlange sie so sehr nach menschlicher
Gesellschaft – auch wenn es sich nur um einen Priester handele.
Arved hätte weglaufen sollen, doch er war geblieben. Ein ganzes
Jahr schon kam er montags und donnerstags zu ihr und diskutierte mit
ihr – über Gott und den Glauben.
    Manchmal glaubte er, sie sei eine Teufelin – eine
Prüfung, die Gott ihm geschickt hatte. Er hatte sie nicht
bestanden; das wusste er seit gestern.
    Und manchmal glaubte er, dass sie ihn noch überleben
würde. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie unter starken
Schmerzen litt – sie hatte sich geweigert, Morphium zu nehmen,
weil sie den Übergang ins Nichtsein bewusst vollziehen
wollte.
    Arved ging in dem abgedunkelten Zimmer auf und ab. Die beiden
Katzen auf dem Fußende des Bettes beobachteten jede seiner
Bewegungen. Offenbar schneite es draußen wieder; ein
weißer Schein drang zwischen den Lamellen der Schlagläden
in das karge Schlafzimmer. Wie sehr wünschte sich Arved, jetzt
dort draußen zu sein und sich die Seele vom Schnee reinwaschen
zu lassen. Er trat an eines der beiden hohen Fenster heran und
versuchte, einen Blick nach draußen zu werfen.
    »Sehnen Sie sich nach der strahlenden Sonne des schönen
Tages draußen?«, hörte er die Stimme der alten Frau,
die im Schlagen der Standuhr unterging. Als es die vierte Stunde
geschlagen hatte, redete sie weiter: »Es gibt keinen Weg
zurück. Wenn man erkannt hat, dass man keine Seele besitzt, kann
einen alles Licht der Welt nicht mehr erhellen.«
    Arved drehte sich zu ihr um. Die verfluchten Katzen und die alte
Frau schauten ihn eindringlich an. Wie eine Hexe, dachte er. Noch vor
dreihundert Jahren hätte man sie verbrannt – und ihre
schwarzen Hilfsgeister dazu.
    »Ja, ich bin eine Hexe«, kicherte die alte Frau.
»Jeder in Trier hält mich für eine. Habe mich dem
Bösen, der in Wirklichkeit der Gute ist, schon in meiner Jugend
verschrieben. Mein Mann konnte ein Liedchen davon singen.« In
ihrem schwefelgelben Auge funkelte es, während das grüne
kalt und unbeteiligt blieb.

 
3. Kapitel
     
     
    Feuer. Hexen. Verbrennen. Teufel.
    »Die Nacht des Satans…«
    Es war eine helle Stimme gewesen. Verdutzt schaute Arved hoch. Er
hatte sich in Tagträumen über seine verhängnisvolle
Predigt und über Lydia Vonnegut verloren, die sich selbst als
Hexe bezeichnet hatte. Er saß immer noch in der Himmeroder
Abteikirche. Inzwischen war es draußen schon ganz dunkel; die
Innenbeleuchtung war eingeschaltet und vertrieb die Schatten. Arved
schaute sich um. Ein Mönch ging das Mittelschiff in Richtung
Westwerk hinunter. Hatte er diese Worte gesprochen? Es war der
Novize. Arved sprang aus der Bank und stieß dabei gegen das
Holz. Polternd hallte es in der großen, schlichten Kirche
wider. Der Novize drehte sich um. Arved ging mit schnellen Schritten
auf ihn zu.
    »Was haben Sie da gesagt?«, fragte er und sah den jungen
Mann verblüfft an.
    »Ich habe gar nichts gesagt«, erwiderte der Novize und
zog eine schwarze Augenbraue hoch. Auf seinem Gesicht lag die gleiche
Freundlichkeit wie vorhin.
    Arved schüttelte den Kopf, aber es gelang ihm nicht, die
Bilder von Hexen und Scheiterhaufen zu vertreiben, die
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