Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
Blitz zeigte keinerlei Bauwerk in Sichtweite.
    »Eine Ruine. Und auch nicht. Das kann ich Ihnen jetzt nicht
erklären. O Gott, wenn ich mich verlaufen habe… Wenn er nun
stirbt, bloß weil ich die Orientierung verloren
habe…« Sie war völlig verzweifelt und biss sich auf
die Fingerknöchel.
    »Vielleicht haben Sie die falsche Abzweigung genommen«,
meinte Arved.
    »Aber es war dieser Wald… so ein Wald«, fügte
sie mit leiserer, unsicherer Stimme hinzu. »Ein Wald wie eine
Kirche. Jürgen hatte darüber seine Witze gemacht, und
dann…«
    »Was ist dann passiert?«, wollte Arved wissen und
versuchte erneut, Anzeichen für ein Gebäude zu finden.
    Sie schüttelte den Kopf und lief weiter in den Wald hinein.
»Weiß nicht…« Das Rauschen von jenseits der
Bäume verwischte ihre Stimme.
    Arved setzte ihr nach. Etwas schlang sich ihm um den Fuß und
zerrte ihn zu Boden. Er ruderte mit den Händen, konnte aber den
Sturz nicht mehr aufhalten. Die Bäume tanzten vor ihm und
schienen sich ihm entgegenzuwerfen.
    Der Aufprall nahm ihm den Atem. Nadeln stachen ihm in Hände
und Gesicht. Er tastete nach seinem Knöchel. Eine Ranke hatte
sich darum gewickelt. Unwirsch riss er sie ab und warf sie fort. Sie
fühlte sich seltsam an. Fleischig. Als wäre es keine
Pflanze, sondern ein lebendiger Fortsatz, ein Tentakel. Angewidert
stand er auf und wischte sich die Hände an der inzwischen sicher
völlig verdorbenen Windjacke ab. Er versuchte, in der Dunkelheit
etwas zu erkennen.
    Die Frau war fort.
    Nun wäre Arved für einen Blitz dankbar gewesen, doch der
Wald lag in undurchdringlicher nächtlicher Finsternis. Arved
fühlte sich, als habe man ihn mit verbundenen Augen in einer ihm
völlig fremden Gegend ausgesetzt.
    Walpurgisnacht. Schabernack.
    »Hallo?«, rief er und lauschte. Nichts. Der Regen schien
aufgehört zu haben; das Gewitter war wohl weitergezogen. Es war,
als habe der Wald den Atem angehalten. Keinerlei Nachtgeräusche
waren zu hören. Nirgendwo knackte etwas, nichts raschelte oder
rauschte. Windstille. »Hallo!?«
    Keine Antwort.
    Nichts bewegte sich. Er war allein. Allein in diesem Wald, allein
auf dieser Welt. Mit einem Mal spürte er die Größe
und Bedrohlichkeit seiner Umgebung. Das war nicht mehr seine Welt. Er
war in etwas geworfen worden, das keine Beziehung zu ihm hatte. In
das er nicht gehörte. Er hatte seinen Platz verloren. Und keinen
neuen gefunden.
    Angestrengt lauschte er ins Nichts. Allmählich kehrten die
Geräusche in den Wald zurück. Ein Rascheln ganz nah neben
ihm. Er zuckte zusammen. Wahrscheinlich war es nur eine Maus. Fernes
Blätterrauschen. Das Knarren eines morschen Stammes. Ein
Zischeln. Flattern wie von gewaltigen Schwingen. Tatsächlich
spürte Arved einen Luftzug über sich. Ein fauler Hauch
streifte sein Gesicht. Kälte kroch in ihn. Er war völlig
durchnässt. Wo war diese Frau bloß abgeblieben?
    Ein Lichtstrahl fiel in den Wald und malte einen Teich aus blassem
Mondwasser auf den Waldboden. Die Wolkendecke war aufgerissen. Der
Wind kreischte nun in den Wipfeln. Der Teich verschwand, wurde an
anderer Stelle neu geboren. Ein fernes Geräusch, wie das Pfeifen
eines Marders, kam aus der Waldferne vor ihm. Er lauschte
angestrengt. Es war kein Pfeifen. Es war eine unendlich leise,
verwischte Stimme.
    »Hier… hier…«
    Immer neue Lichtsäulen fielen vom Himmel. In einer davon,
weit vor Arved, stand jemand und schwenkte die Arme. Neben der
Gestalt ragte eine Masse aus dem Boden, die wie ein uraltes Gebiss
aussah. Das Haus? Arved lief los.
    »So kommen Sie doch endlich! Hier!«
    Er hatte das Haus erreicht. Die Ruine. Es handelte sich um ein
einstöckiges Steingebäude mit abgedecktem Dach und nur
einem Fenster neben der Türhöhlung, in der die Frau stand
und ihn herbeiwinkte. Mit klopfendem Herzen rannte er über einen
Pfad aus Mondlicht auf die Tür zu.
    Die Frau verschwand im Inneren des zerfallenen Gebäudes. Ihre
aufgeregte Stimme drang nach draußen. »Helfen Sie mir, ihn
zum Wagen zu bringen. Er muss sofort in ein Krankenhaus.
Schnell!«
    Arved hatte die Tür erreicht und trat in das Innere der
Ruine.

 
5. Kapitel
     
     
    Der schwarzhaarige Mann lag auf dem Steinfußboden und hielt
sich den Bauch mit beiden Händen. Durch das abgedeckte Dach
ergoss sich das Mondlicht und machte das Gesicht des Mannes noch
bleicher. Dann schob sich eine Wolke vor den Mond und tauchte das
Innere des kleinen Bruchsteinhauses in Dunkelheit.
    »Helfen Sie mir, ihn zum Wagen zu tragen«, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher