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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Michael Siefener
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Arved den Mann fallen lassen. Die Frau lief noch
schneller. Arved musste mit, ob er wollte oder nicht. Wenigstens
lebte der Mann noch.
    Wieder eine Kreuzung. Nirgendwo war der Parkplatz in Sicht.
Diesmal blieb die Frau nicht stehen. Sie nahm die Abzweigung nach
rechts. »Ich erkenne es wieder!«, rief sie. »Jetzt ist
es nicht mehr weit! Sehen Sie den verkrümmten Baum da, der wie
ein buckliger Elefant aussieht?«
    »Ja«, antwortete Arved, obwohl es eine Lüge
war.
    »Halten Sie durch, gleich sind wir bei Ihrem Wagen!«
    Der Mann stöhnte. Er schrie etwas, das keinem
verständlichen Wort mehr glich.
    Als das Mondlicht versickerte, löste sich der Weg in
Schwärze auf. Fast blind taumelte Arved hinter der Frau her.
Seine Last wurde immer schwerer. Stiche fuhren ihm durch den ganzen
Körper. Schweiß stand auf seiner Stirn, rann ihm den
Rücken hinunter und mischte sich mit dem allmählich
trocknenden Regenwasser. In was war er da bloß
hineingeraten?
    »Da hinten! Ich sehe Ihren Wagen!«, rief die Frau
plötzlich.
    Gott sei Dank, dachte Arved und musste gleich schlucken. Was
für eine unsinnige Redewendung.
    Auf den letzten Metern kam der Mond wieder zum Vorschein. Arved
setzte den inzwischen erneut bewusstlos gewordenen Mann vorsichtig im
Gras ab und schloss den Wagen auf. Die Frau kniete sich neben ihren
Gatten und betupfte ihm die Stirn. Er atmete heftig. Arved
öffnete die Beifahrertür so weit wie möglich und
klappte den Sitz zurück. Dann hoben sie gemeinsam den
Bewusstlosen auf und legte ihn unter vielen Mühen auf den
Rücksitz. Er stöhnte, sagte aber nichts mehr.
    Als sie ihn halbwegs bequem gelegt hatten, riss die junge Frau den
Beifahrersitz zurück, warf sich auf das Polster, schlug die
Tür zu und rief: »So fahren Sie doch schon! Ins
nächste Krankenhaus!«
    Wo war das nächste Krankenhaus? Arved wusste noch nicht
einmal recht, wo sie sich in dieser Waldeinsamkeit befanden.
»Geben Sie mir bitte die Straßenkarte«, sagte er
erschöpft. »Sie ist im Handschuhfach.«
    Die Frau sah ihn an, als habe er ihr einen unsittlichen Antrag
gemacht. »Sie sollen ins Krankenhaus fahren! Wollen Sie schuld
sein, wenn mein Mann stirbt?«
    Allmählich verließ Arved die Geduld. »Ich kenne
mich in dieser Gegend nicht gut aus! Ich vermute, dass es in Wittlich
ein Krankenhaus gibt, aber ich habe keine Ahnung, wie ich von hier
nach Wittlich komme. Geben Sie mir also schnell die Karte, wenn Sie
keine weitere Verzögerung wünschen.« Es hatte
härter geklungen, als er beabsichtigt hatte.
    Die junge Frau gab keine Widerworte, sondern öffnete das
Handschuhfach und gab ihm wortlos die Karte. Dann starrte sie vor
sich in die Spiegelung des Wageninneren.
    Rasch schlug Arved die Eifel-Seite auf. Bald hatte er Eisenschmitt
gefunden. Irgendwo oberhalb des Ortes mussten sie sich befinden
– in einem ausgedehnten, namenlosen Waldgebiet, das von zwei
Straßen durchzogen wurde. Wenn sie sich an der Straße
befanden, die er als die wahrscheinlichere ansah, musste er bis zu
deren Ende fahren und dann rechts in Richtung Großlittgen
abbiegen. Von dort aus war es nicht mehr sehr weit bis Wittlich. Er
hoffte nur, dass diese Kreisstadt ein Krankenhaus hatte. Er
prägte sich den Weg ein, gab die Karte der immer noch
schweigenden Frau zurück, die sie mechanisch wieder in das
Handschuhfach legte, und startete den Motor. Dann schaltete er die
Innenbeleuchtung aus.
    Als er den schweren Wagen wieder auf die Straße gelenkt
hatte und diese mit größtmöglicher Geschwindigkeit
entlang fuhr, fragte er: »Was ist passiert?«
    Zuerst gab die Frau keine Antwort. Arved warf einen Blick in den
Rückspiegel. Der Mann regte sich wie im Fieberwahn, aber er
sagte nichts mehr, was man hätte verstehen können. Ein
seltsamer Geruch machte sich in dem Wagen breit. Vorhin, im Wald,
hatte Arved ihn nicht wahrgenommen. Er war süßlich,
beinahe wie Verwesungsgeruch. So ähnlich hatte Lydia Vonnegut
gerochen, als er sie zusammen mit den Polizisten im Bett gefunden
hatte. Es war der freie Tag der Haushälterin gewesen. Er hatte
die Polizei rufen müssen, da er natürlich keinen
Schlüssel zu ihrem Haus besessen hatte. Die Obduktion hatte
ergeben, dass sie schon seit drei Tagen tot war. Doch dieser Mann
hier lebte noch.
    »Ich weiß es nicht«, sagte die Frau plötzlich
wie aus dem Nichts. Dann schwieg sie wieder.
    Die Straße wurde immer holperiger, wand sich wie eine
Schlange und durchstach den schwarzen Nachtwald. Nass glänzten
die weißen
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