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Hexennacht

Hexennacht

Titel: Hexennacht
Autoren: Robert Asprin
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findet.«
    Cappen Varra griff in die Saiten seiner Laute. »Es gibt einen Ils-Tempel im Seideneck«, begann er rhythmisch zu singen, mit verträumter Miene, als wäre es ein Liebeslied. »Nur ein kleines Bethaus. Das müßt Ihr betreten. In der Gasse dahinter wendet Euch rechts .«
    Drei Stunden vor Sonnenuntergang verließ Samlor das Wilde Einhorn. Er suchte fast bis Einbruch der Dunkelheit, bis er erstehen konnte, was er für die Unterredung brauchte: keine Schwarzmarktware, aber ungewöhnlich genug, daß man sie nicht an jedem Stand kaufen konnte. Zudem kannte er sich in der Stadt nicht aus. Er fand schließlich, was er brauchte, bei einem Apotheker.
    In der Dunkelheit vermittelten die Straßen Freistatts ein anderes Gefühl: das der allgegenwärtig lauernden Gefahr. Unter den gegenwärtigen Umständen hielt es Samlor nicht für klug, seinen Dolch blank in der Faust zu halten, wie er es sonst getan hätte. Doch er war wachsam und auf einen plötzlichen Angreifer gefaßt, der es auf seinen Geldbeutel oder vielleicht sogar auf die Weinflasche abgesehen hatte, deren Hals aus seiner Tasche ragte.
    Das Bethaus des Ils besaß einst ein Eingangstor, doch das schwere Schmiedeeisen hatte Liebhaber gefunden. Es gab keine Kultgegenstände im Inneren, außer einer Nische mit einem Bildnis der Gottheit. Früher mochte sich darin eine Statue befunden haben, die wohl auf gleiche Weise wie das Tor verschwunden war. Samlor schlenderte durch den Tempel. Er war nicht sicher, daß der Betrunkene, der in der Ecke schlief, auch wirklich nur ein Betrunkener war.
    Die Gasse hinter dem Tempel war schwarz wie die Seele eines Staatsmannes. Samlor mußte sich vorantasten und entdeckte mehrere wacklige Stufen an der linken Wand. Dann eine zweite Treppe. Die knackenden und knirschenden Geräusche unter seinem Schuhwerk beunruhigten Samlor nicht. Die Wachen, mit denen er rechnete, würden nicht ohne Befehl zuschlagen, und ihre Anwesenheit würde einen Großteil des Diebes- und Mordgesindels aus den Gassen vertreiben.
    Eine Leiter lehnte an der Wand. Sie führte zu einer Falltür im oberen Stockwerk. Samlor stieg zwei Sprossen hoch und pochte an die Tür. Dabei war ihm durchaus bewußt, in welch gefährlicher Lage er sich befand, wenn er die Anweisungen des Spielmanns nicht richtig befolgt hatte.
    »Ja?« murrte eine Stimme von oben.
    »Tarragon«, flüsterte Samlor. Wenn sie das Losungswort inzwischen geändert hatten, würde das nächste Geräusch das einer Dolchklinge sein, die zwischen seine Rippen stieß.
    Die Tür klappte auf. Zwei Männer griffen herab und hoben Samlor wortlos hoch. Sie trugen Masken wie auch der dritte Mann, der hinter ihnen im Schein einer Öllampe über Rechnungsbüchern an einem Schreibtisch saß. Er war offensichtlich der Anführer. Die beiden, die Samlor hielten, waren Halunken auf den ersten Blick, die Sorte mit viel Muskeln und wenig Grips. Der Anführer war ein Schwarzer. Die Maske, die sein Gesicht bedeckte, hatte im Laufe der Zeit gelitten, aber die Augen dahinter leuchteten wie die des Falken, den sie darstellte.
    Der Schwarze beobachtete die gründliche Durchsuchung schweigend. Die beiden hielten ihn, und Samlor ließ es ruhig über sich ergehen, daß ihre freien Hände sich geübt an ihm zu schaffen machten, sein Messer nahmen, seinen Geldbeutel, seine Tasche, die Stiefel von seinen Füßen zogen und selbst die leere Schaftscheide untersuchten, seine Arme abtasteten, seinen Oberkörper, seine Beine. Doch die einzige Waffe, die Samlor an diesem Abend trug, war der Dolch im Gürtel. Vollkommen waffenlos durch die nächtlichen Gassen dieser Stadt zu gehen, wäre verdächtig gewesen.
    Als die Wachen mit ihm fertig waren, traten sie einen Schritt hinter ihn. Samlors Habseligkeiten lagen in einem kleinen Haufen vor seinen Füßen, ausgenommen der Dolch, den einer der beiden stämmigen Kerle in seinen Gürtel gesteckt hatte.
    Sie ließen ihn nicht aus den Augen.
    Gleichmütig ließ sich der Cirdonier auf ein Knie nieder und zog seinen linken Stiefel an, während der Mann hinter dem Schreibtisch mit wachsender Ungeduld wartete. Als Samlor nach seinem zweiten Stiefel griff, entfuhr es dem maskierten Anführer wütend: »Nun? Du kommst von Balustrus. Rede, Mann, wie ist seine Antwort?«
    »Nein, ich komme nicht von Balustrus«, erwiderte Samlor langsam. Mit der Weinflasche in der Hand richtete er sich auf. Er zog den Korken mit den Zähnen und spuckte ihn auf den Boden. Dann fuhr er fort: »Ich will Auskünfte von
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