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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind
Autoren: Sabine Thiesler
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ein, dass es unnötig gewesen war. Er selbst hatte kaum Appetit, und Sarah und Elsa waren tot. Teresa und Enzo kauften sich ihr eigenes Brot direkt beim Bäckerwagen, der zweimal in der Woche vormittags nach Montefiera kam.
    In Duddova, unmittelbar hinter der Kastanie, nahm ihm ein Bauer in einem grünen Fiat die Vorfahrt. Romano bremste scharf und riss das Steuer zur Seite, dann fuhr er kopfschüttelnd weiter. Der Bauer würde nie begreifen, was er falsch gemacht hatte.
    Aber in Duddova sah er auch, dass die Dottoressa zu Hause war. Merkwürdigerweise fand er es tröstlich, dass ihr Auto vor der Tür stand.
    Der Weg durch den Wald war schlammig und beschwerlich
und dauerte über eine halbe Stunde. An der Kreuzung nach Solata sah er einen toten Dachs. Sein Fell leuchtete in der Abendsonne. Sicher war er noch nicht lange tot. Hilflos lag sein Kadaver in der Gegend und wartete darauf, gefressen, in den Graben gekippt oder von Maden zersetzt zu werden.
    Romano hielt an, um ihn zu begraben, aber dann fiel ihm ein, dass er weder Spaten noch sonst irgendein Werkzeug im Auto hatte, und er fuhr weiter.
    In Montefiera parkte Romano direkt vor der Trattoria. Heute war Ruhetag, und kein Gast würde ihm seinen Stammplatz streitig machen.
    Mittlerweile war es fast dunkel. Auf der Terrasse brannte nur die Lampe über der Tür, die das Schild »Chiuso« notdürftig beleuchtete. Das ist mein Leben, dachte er. Dieses kleine Restaurant und nicht eine Bar in Capannole, in Arezzo und schon gar nicht am Meer. Was in seinem Leben noch geschehen sollte, würde hier geschehen.
    »Edi«, rief er, als er seine Wohnung betrat. »Ich bin wieder da!«
    Aber es kam keine Reaktion, keine Tür sprang auf, und kein Edi hängte sich schwer an seinen Hals.
    Romano öffnete Edis Zimmertür.
    Was er sah, war so grauenhaft, dass er nicht begriff, dass dies die Realität und kein Albtraum war. Edi saß mit einem riesigen Schlachtermesser in der Hand auf dem hellblauen Läufer vor seinem Bett, in der Hand den Kopf eines Kaninchens, den er gerade vom Körper abgeschnitten hatte. Teppich, Bett und Edis Schlafanzug waren blutverschmiert. Aber Edi lachte, als er Romano sah, und hielt den tropfenden Kaninchenkopf in die Luft.

    »Tiger tot – im Abendrot«, sagte er und kicherte.
    Romanos Gedanken überschlugen sich. Er hatte nur eine einzige Angst: Jetzt durfte niemand ins Zimmer kommen. Nicht Teresa, die zum Abendbrot rief, und ein Commissario Neri, der noch lange nicht alle Fragen seines Lebens gestellt hatte und immer unangemeldet aufkreuzte, schon gar nicht.
    Romano schloss die Zimmertür von innen ab.
    Dann wischte er ein paar Kleidungsstücke von einem Hocker und setzte sich.
    »Tiger tot – im Abendrot«, wiederholte Edi und klatschte in seine blutverschmierten Hände.
    Romano betrachtete stumm seinen Sohn, diesen gewaltigen blutbespritzten Fleischberg mit einem Kaninchenkopf in der Hand, der strahlte und mit dem Oberkörper vor und zurück wippte, um auch im Sitzen seine Begeisterung zeigen zu können.
    »Komm«, sagte Romano und erhob sich schwerfällig wie ein alter Mann. »Komm, wir gehen Tiger begraben.«
    Edi drehte sich auf alle viere und stand ebenfalls auf. Er streckte sich und wirkte auf Romano wie King Kong. Nur dass er nicht die weiße Frau in der Hand hatte, sondern einen abgeschnittenen Kaninchenkopf.
    »Zieh dir Schuhe und eine Jacke an. Wir gehen in den Wald.«
    »Ein Grab im Wald – versteckt und kalt«, jubelte Edi und legte sich auf die Erde, um seine Stiefel unter dem Schrank hervorzuziehen.
    Romano zog in Windeseile das blutige Bettzeug ab, bevor Edi es bemerkte und sich eventuell dagegen wehren würde.

    Wenige Minuten später waren sie unterwegs. Taschenlampe, Spaten, Kaninchen und Messer hatten sie dabei.
    Edi hüpfte voran. Genauso wie ein Jahr zuvor in der Weihnachtsnacht, als er zuammen mit Elsa einen anderen Tiger begraben hatte.

93
    Romano folgte Edi. Gern wäre er langsamer gegangen, aber Edi rannte beinah, den Kadaver des Kaninchens und das Messer unter seinem Pullover.
    Da Romano keinen größeren Abstand als höchstens zwei, drei Meter zwischen sich und Edi aufkommen ließ, benötigte er keine Taschenlampe. Edi fand sich auch im stockdunklen Wald zurecht. Es schien, als kenne er jede Baumwurzel, jeden Busch und jeden Brombeerzweig, der einem ins Gesicht schlagen konnte.
    Romano war völlig außer Atem, als sie die Ruine der kleinen Capanna erreichten.
    »Hier«, sagte Edi stolz und deutete auf einen Busch mit einem
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