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Hexenkind

Hexenkind

Titel: Hexenkind
Autoren: Sabine Thiesler
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Touristenströme über den Sand.

    Eine Viertelstunde später fuhr Romano los. Da er sich nicht beeilte und so gut wie nie überholte, brauchte er fast zwei Stunden bis zum Meer.
    In Castiglione della Piscaia parkte er seinen Wagen und ging durch den Ort bis hinunter zum Hafen. Vor allem Fischerboote dümpelten hier am Kai, die übrigen kleineren Boote waren winterfest gemacht, mit Planen bedeckt und die Außenbordmotoren abgeschraubt. Seile und Schäkel einiger weniger Segelboote klimperten im Wind und sorgten für die hafentypische Geräuschkulisse.
    Romano schlenderte den Kai einmal auf und ab, dann folgte er der Straße, die bis hinunter zum Strand führte. Er wandte sich nach rechts, weil ihm dort der Strand länger erschien, und ging langsam durch den Sand. Nach zehn Minuten zog er Schuhe und Strümpfe aus, und obwohl der Sand kühl war und ihm das Wasser regelrecht eisig erschien, fühlte er sich erfrischt.
    Ein junges Paar kam ihm entgegen, beide Hand in Hand, die Arme vor- und zurückschwingend. Sie waren vollkommen fasziniert voneinander und beachteten ihn nicht. Wenig später marschierte eine ältere Frau an ihm vorbei. Mit langen, energischen Schritten und fast doppelt so schnell wie er.
    Romano wünschte sich, angesprochen zu werden. Und wenn es nur die Frage nach dem nächsten Ort oder nach der Uhrzeit wäre. Er fürchtete sich plötzlich davor, nie mehr zu zweit einen Strand entlangzulaufen.
    Er blieb stehen und malte mit dem Zeh ein Haus in den Sand. Sarahs Haus. Natürlich. Ein anderes kam ihm gar nicht in den Sinn. Er würde die Trümmer wegräumen lassen. Dort, wo es einmal gestanden hatte, wollte er eine
Bank aufstellen. Eine steinerne Bank mit beiden Namen. Sarah und Elsa. Eingemeißelt für die Ewigkeit.
    Etwas höher, im weicheren Sand, der selten überspült wurde, saß eine Frau und las. Er hatte Lust, sie anzusprechen und sie nach ihrem Buch zu fragen, aber er wagte es nicht.
    Ungefähr fünfhundert Meter weiter setzte er sich in den Sand, sah aufs Meer hinaus und empfand eine unendliche Leere.
    Was mache ich eigentlich hier, fragte er sich, wartete fünf Minuten, aber da kam kein weiterer Gedanke.
    Schließlich stand er auf, klopfte sich den Sand aus der Hose, drehte sich um und lief zurück. Er rannte den Strand entlang, die Dorfstraße hinauf, durch den Ort bis zu seinem Auto und war vollkommen erschöpft, als er den Wagen startete.

92
    Die Luft war völlig anders, frischer, kühler, samtiger als in der Crète. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, wie bewaldet das Valdarno war. Ein schwaches Gefühl von Heimat stellte sich ein und verflüchtigte sich sofort wieder, als ihn ein leerer Viehtransporter überholte.
    Am del Grillo stoppte der Laster. Mitten auf der Straße. Der Fahrer telefonierte erst, dann rangierte er den Wagen auf den Parkplatz. Romano hielt direkt hinter ihm und folgte ihm in die Bar. Schon unzählige Male hatte er dort einen Kaffee trinken wollen, aber noch nie angehalten.
    Die Bar war in bläuliches Licht gehüllt. Der Lastwagenfahrer trank einen Caffè und aß zwei Croissants. Romano hatte auf nichts Appetit. Er stand an den gläsernen Kühlschrank gelehnt, in dem man sich die verschiedensten Eissorten aussuchen konnte, und überlegte sich das zweite Mal an diesem Tag, was er hier eigentlich zu suchen hatte.
    Als der Inhaber ihn ansprach, bestellte er nur aus Verlegenheit auch einen Caffè, obwohl sein Magen derart leer war, dass er sich vor dem ersten, brennenden Schluck regelrecht fürchtete.
    Er hatte noch zwei Panini im Auto. Hier trockneten die Panini hinter der Glasscheibe bereits vor sich hin, und die Ränder begannen sich nach außen zu wölben.

    Der Inhaber schob ihm den Caffè über den Tresen. Romano schüttete ihn hinunter, legte das Geld neben die leere Tasse und sagte: »Gute Fahrt« zu dem Fahrer des Viehtransporters, bevor er die Bar verließ.
    Während er zum Auto ging wurde ihm plötzlich klar, dass so sein restliches Leben aussehen würde. Arbeiten in der Trattoria, einmal in der Woche Einkäufe in Montevarchi und hin und wieder ein trostloser Caffè in einer Bar.
    Und er hatte nicht die geringste Lust auf dieses Leben.
     
    Hinter einem riesigen, aber immer leer stehenden und geschlossenen Restaurant bog er nicht auf dem direktesten Weg nach Montefiera ab, sondern fuhr auf der Hauptstraße weiter bis nach Ambra. Il Panificio hatte nur vormittags geöffnet, aber im Alimentariladen bekam er noch ein Weißbrot. Erst während der Weiterfahrt fiel ihm
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