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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht
Autoren: Stefan Fandrey
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schlief auch er auf der Stelle ein.
Abschied
    A m nächsten Morgen weckten Pierres Schreie die gesamte Mannschaft. Raphael riss die Augen auf und sprang auf. Er lief zu Pierre, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn kräftig. »Bei Gott, Pierre! Komm zu dir!«
    »Luna!«, stammelte Pierre. »Sie ist fort! Seht doch!« Er zeigte auf die Stelle, wo Luna geschlafen hatte. Sie war leer.
    »Ihr Pferd steht auch nicht mehr hier!«, rief Jeanne.
    In der Tat. Luna war über Nacht spurlos verschwunden. Spurlos? Nicht ganz. Raphael fand neben seiner Schlafstatt unter einem Stein ein Schriftstück. Er hob es auf. »Es ist von Luna«, sagte er, während sich alle um ihn scharten.
    »Nun lest schon«, drängte Pierre. »Was hat sie geschrieben?«
    Raphael räusperte sich. »Sie schreibt: Lieber Raphael, lieber Pierre und liebe Jeanne, vergebt mir, dass ich euch klammheimlich verlasse. Bitte, glaubt mir, dass dies die einzige und beste Lösung für mich ist. Glaubt mir auch, dass es mir schwer fällt, euch alle nicht ein letztes Mal in die Arme schließen zu können. Folgt mir nicht, und sucht nicht nach mir. Ihr könnt mich niemals finden. Viel wichtiger ist, was fortan mit euch geschieht. Raphael und Jeanne, ihr bedürft nicht vieler Worte. Euer Schicksal erfüllt sich in Rouen. Pierre, liebster Freund, begib dich in das Dörfchen Ardon bei Orléans. Spüre das Haus mit den roten Schindeln auf. Dort wirst du finden, wonach du dein Leben lang gesucht hast. Ich werde euch alle stets in meines Herzens tiefstem Grunde tragen und euch nie vergessen. Luna. « Raphael hatte das Gefühl, ihm stecke ein dicker Kloß im Hals. Er ließ das Blatt sinken und schaute seine Freunde an. Tränen erschienen in Jeannes Augenwinkeln. Pierre kratzte sich nachdenklich am Kopf.
    Es war d’Aubrac, der zuerst sprach. »Welch wundersames Mädchen«, sagte er. »Aber tapfer und klug. Wäre sie ein Mann, Königreiche könnte sie zerstören und neu errichten. Bei meiner Seel!«
    »Was …«, sagte Pierre, »was bedeutet das nun?«
    »Es bedeutet«, antwortete Raphael, »dass wir Luna niemals wiedersehen.«
    »Aha«, machte Pierre. Langsam schien er zu verstehen. Er wandte sich ab und lief in den Wald hinein.
    Jeanne wollte ihm folgen, aber Raphael hielt sie fest. Er schüttelte den Kopf.
    D’Aubrac ging zu seiner Schlafstatt, zog aus einer Ledertasche eine Karte hervor und kam zurück. Er schlug die Karte auf und fuhr mit dem Zeigefinger darüber. »Orléans«, sagte er und tippte mit dem Finger darauf. »Da ist es. Und Ardon? Da!«
    »Ist es sehr weit?«, fragte Jeanne.
    D’Aubrac nickte nachdenklich. »Wir nehmen den Burschen mit«, sagte er. »Die verdammten Engländer liegen nicht weit entfernt in Stellung, und die Waffen werden nicht auf ewig schweigen.«
    »Du meinst, es geht in den Kampf, Maurice?«, fragte Roger.
    »Nun«, sagte d’Aubrac, »vielleicht nicht direkt in den Kampf, aber wir sind dabei, sobald der erste Pfeil in der Luft ist.«
    Roger drehte sich zu den Männern um. »Habt ihr gehört? Wir ziehen gegen die Engländer!« Die Männer antworteten mit lautem »Hurra!«
    »Da kommt Pierre«, sagte Jeanne und deutete zum Wald.
    »Geht es dir gut?«, fragte Raphael, als Pierre neben ihm stand.
    »Ja, ja«, sagte Pierre. »Es ist nur … ich hätte mir gewünscht, sie ein letztes Mal umarmen zu können. Nur noch ein einziges Mal. Doch dies war ihr Wille, und ich werde ihn erfüllen.«
    »Gut«, sagte Raphael und strich Pierre aufmunternd übers Haar. »D’Aubrac und seine Männer nehmen dich mit nach Ardon. Du gehst doch nach Ardon?«
    Pierre nickte. »Ich weiß nicht, was ich dort finden soll, aber ich gehe nach Ardon.«
    D’Aubrac und die Ritter sammelten ihr Hab und Gut zusammen und sattelten ihre Pferde.
    »Dann heißt es nun Abschied nehmen«, sagte Raphael. Er wollte noch etwas sagen, aber Pierre kam ihm zuvor. Er fiel Raphael um den Hals und drückte ihn an sich. Eine Weile standen sie so da. Und Raphael verstand. Es gab in keiner Sprache die richtigen Worte, die den Schmerz des Abschieds und die tief empfundene Freundschaft zwischen ihnen auszudrücken vermochten. Er ging zu seinem Pferd, nahm aus den Satteltaschen einen prall gefüllten Geldbeutel und reichte ihn Pierre mit den Worten: »Das ist dein Anteil vom Schatz des Marquis. Er wird dir ein sorgenfreies Leben ermöglichen, junger Freund.«
    Lächelnd nahm Pierre die Geldkatze. Dann umarmte er auch Jeanne. Schließlich sprang er auf sein Pferd, das d’Aubracs
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