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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht
Autoren: Stefan Fandrey
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Männer bereits gesattelt hatten. D’Aubrac winkte Raphael und Jeanne lächelnd zu.
    »Habt Dank!«, rief Raphael ihnen nach. »Von Herzen Dank! Und passt mir auf den Jungen auf.« Er und Jeanne blickten den Reitern nach, bis diese im Wald verschwanden. »Wir haben einen weiten Weg vor uns, Madame«, sagte er.
    Jeanne lächelte. »Lasst uns nicht zögern und diesem unheimlichen Ort den Rücken kehren.«
Ein Hof bei Dreux
    D ie Reise zurück in die Heimat, nach Rouen, wo ihre Odyssee den Anfang genommen hatte, dauerte annähernd drei Monate. Gelegentlich ritten Raphael und Jeanne durch Orte oder ganze Landstriche, die von der Pest leer gefegt worden waren. Verlassene Häuser, verendetes Vieh und überall Leichen. Sie ritten schnell durch diese Orte, ohne ein Wort zu sprechen. Oft bekamen sie tagelang keine Menschenseele zu sehen.
    Jeanne äußerte den Wunsch, einige Tage am Meer zu verbringen. So hielten sie sich gen Norden, um in der Bretagne bei Saint-Benoît-des-Ondes in einem Gasthaus nahe am Wasser zu nächtigen.
    Es waren drei wundervolle, erholsame Tage, in denen sie viel in der warmen Sonne saßen, miteinander lachten, schwatzten und schweigend das Meer betrachteten. Zärtlichkeiten tauschten sie nicht aus.
    Von Saint-Benoît-des-Ondes ritten sie nach Nordosten Richtung Rouen.
    Am 21. Juni 1349 erblickten sie die Burg von Rouen. Jeanne bat Raphael, sie heimzubegleiten. Er war besorgt, da Auguste Gousset ihn einst bei Henri verraten und sie, Jeanne, anschließend sein Gold und Silber geraubt hatte.
    »Ebendas ist der Grund«, erwiderte sie, »warum ich um Euer Geleit ersuche. Nun, da Henri tot ist, seid Ihr der Mann, der Auguste in die Schranken zu weisen vermag. Droht ihm mit dem ewigen Höllenfeuer, weil er gegen das siebte, achte, neunte und zehnte Gebot verstoßen hat. Er wird verstehen, was gemeint ist. Vertraut mir.«
    Raphael nickte, und sie zogen an Rouen vorbei zum Dorfe Boos. Noch vor Einbruch der Nacht erreichten sie Auguste Goussets Gutshaus.
    Raphael stutzte, als er sah, dass die Haustür sperrangelweit offen stand. »Etwas stimmt hier nicht, Madame«, flüsterte er. Im ganzen Haus, so schien es, brannte kein einziges Licht.
    Sie stiegen vom Pferd und schlichen leise auf das Haus zu.
    »Wartet hier, Madame«, flüsterte Raphael. Er steckte den Kopf durch den Eingang und spähte hinein. Was er sah, sagte ihm, dass er hier nicht mehr viel vorfinden würde. Und dass der Eigentümer des Hauses vermutlich nicht mehr unter den Lebenden weilte.
    Im Haus stand kein Stuhl, kein Tisch und kein Schrank mehr. Die Teppiche von den Wänden waren geraubt wie das silberne Besteck, die kostbaren Gläser und goldenen Kruzifixe. Selbst Auguste Goussets Nachttopf hatten die Diebe mitgehen lassen. Er schlich durch die leeren Räume, auf der Suche nach dem Hausherrn. Er fand ihn in der hintersten Ecke der Speisekammer. Seine Leiche war halb verwest, die Haut brüchig wie altes Pergament. Trotzdem konnte Raphael die schwarzen Beulen erkennen. Gousset war also an der Pest gestorben. Raphael verließ das Haus. Es gab hier nichts mehr für ihn zu tun.
    »Was habt Ihr gefunden?«, fragte Jeanne, als er durch die Tür trat. »Wo ist Auguste?«
    Raphael streichelte ihre Arme. »Euer Gemahl, Madame«, sagte er, »ist tot. Seid Euch meines tiefsten Mitgefühls versichert.«
    Sie sah zu Boden. Als sie wieder aufblickte, spiegelten sich in ihren Augen Entschlossenheit und seltsamerweise Gewissheit. »Ich begleite Euch nach St. Albert«, sagte sie. »Danach … nun, warten wir es ab.«
    Sie stiegen auf ihre Pferde, und weiter ging es zum Kloster St. Albert.
    Es war stockfinstere Nacht, als sie die Mauern des Klosters erreichten. Raphael betrachtete sie mit gemischten Gefühlen. Wie lange hatte er sich gewünscht, an diesen Ort zurückzukehren? Jetzt, da es nur einige wenige Schritte in sein altes Leben brauchte, spürte er Schwermut und Trauer. Er sah Jeanne zu, wie sie behände aus dem Sattel sprang und wie sie elegant um Giacomo herumging. Selbst im blassen Mondlicht leuchtete das flammende Rot ihrer wilden Mähne. Diese Frau war wie ein Sturm auf hoher See, wie ein Bündel Sonnenstrahlen, wie das Flüstern des Waldes. Es schien, als hätte Gott eine bessere Eva schaffen wollen und ihr den Namen Jeanne gegeben. Mühsam riss er sich von den Gedanken los. Das Kloster lag vor ihm und die Arbeit im Scriptorium. Er freute sich auf das Wiedersehen mit Bruder Bruno und allen anderen Mitbrüdern. St. Albert war seine Heimat, der Dienst
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