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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit
Autoren: Randy Susan Meyers
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wieder zu fressen, und ich hatte entschieden, dass ich nicht länger für die Sünden meines Vaters büßen musste.
    Jetzt arbeitete ich in einer kühlen, stillen Galerie. Die wollten nur ein hübsches Gesicht und eine ruhige Hand, mit der ich Künstlerbroschüren überreichte. Mir blieb reichlich Zeit zum Lernen, während ich wie gewünscht im schwarzen Kleid oder Kostüm am Empfang saß. Ich hatte festgestellt, dass New York neben einem Übermaß an gestörten Leuten auch Überholspurprogramme für Quereinsteiger zu bieten hatte. In einem Jahr konnte ich die Zulassung zur Grundschullehrerin schaffen.
    Ich blätterte eine Seite in dem Buch über Kinderpsychologie um und tunkte dabei ein Stück Sushi in die Ingwer-Soja-Soße. Mein Vater bestand darauf, mir jede Woche fast die Hälfte seines Lohns für die Kursgebühren zu geben. Er erklärte scherzhaft, es sei an der Zeit, dass er für die Ausbildung seiner Kinder aufkam. Jedes Mal, wenn er diesen Witz brachte, musste ich an meine Mutter denken. Ich fragte mich, ob Mama mich sehen konnte. Was würde sie von dem Arrangement halten, das mein Vater und ich uns aufgebaut hatten? Würde Mama wollen, dass ich sein Geld annahm?
    Ehe ich die endgültige Entscheidung getroffen hatte, Boston zu verlassen, hatte ich eine Nacht lang versucht, Mama zu spüren, sie zu bitten, zu mir zu kommen und mir zu sagen, wie ich mich Dad gegenüber verhalten sollte. Da Mama stumm geblieben war, hatte ich ihr Schweigen als Zustimmung aufgefasst.
    Mama würde wollen, dass ich mich änderte.
    Mama würde ganz sicher wollen, dass ich das Geld nahm.
    Manchmal betrachtete ich mein Leben und verspürte ein flau-es Gefühl im Magen – kein Ehemann, keine Kinder, kein Freund, nur mein Vater und ich. War es genau das, was Lulu immer befürchtet hatte? An solchen Tagen ging ich online und suchte sämtliche Dating-Portale ab. Meist juckte es mich dabei in den Fingern nach einem Jack Daniels.
    Dann beruhigte ich mich und sagte mir, dass alles zu seiner Zeit kam. Dies war meine Zeit, mich zu heilen. Irgendwann würden alle Blätter abgefallen sein, und danach würde neues Laub sprießen.
    Ich genoss mein Abendessen, bei dem weicher Jazz mich umhüllte. Ich strich noch mehr Sätze in meinem Lehrbuch an, die mir helfen würden, meine zukünftigen Schüler zu verstehen. Wenn ich damit fertig war, würde ich Lulu anrufen, einfach nur, um Hallo zu sagen.

33
Lulu: Dezember 200 3
    ch parkte neben einem alten schwarzen Cadillac Seville und ging den halben Häuserblock bis zu Tante Cillas Haus zu Fuß weiter. Mir fiel auf, dass es in Brooklyn ganz andere alte Autos gab als in Cambridge. Statt fünfzehn Jahre alter, rostiger Civics standen in Brooklyn schwerfällige Cadillacs mit kaputten Rücklichtern. Ich hatte am Flughafen einen Wagen gemietet. Merry hätte mir ihren sicher geliehen, aber ich hatte ihr noch nichts von meinem Besuch in New York erzählt. Es war ein sonniger Dezembertag, Merrys achtunddreißigster Geburtstag, und ich wollte sie überraschen.
    In Tante Cillas Einfahrt stand ein glänzender Toyota Avalon. Ich öffnete die Tür zu der verglasten Veranda, ein wenig verblüfft darüber, dass sie nicht abgeschlossen war. Die Veranda war leer, vielleicht weil sich im Winter niemand darauf aufhielt oder weil sich überhaupt nie jemand darauf aufhielt. Ich verkündete meine Ankunft mit Hilfe des Messingklopfers, den ich gegen die Tür schlug, bis ich Schritte hörte.
    Eine altersfleckige Hand zog den Spitzenvorhang im Türfenster beiseite. Tante Cilla spähte argwöhnisch zu mir heraus.
    »Lulu?«, fragte Tante Cilla.
    Ich erkannte sie sofort, obwohl sie noch älter aussah, als sie inzwischen war. Ihre Gesichtszüge ähnelten denen einer Bulldogge, was sich schon immer angedeutet hatte. Ihr Körper hatte den Umriss vieler alter Frauen angenommen, mit dünnen Beinen und viel zu dürren Armen, die in einer beleibten, kartoffelförmigen Mitte steckten.
    »Ich bin es, Tante Cilla.«
    Sie öffnete die Tür und starrte mich an. »Du kommst nach der Familie deines Vaters. Siehst aus wie sein Vater.«
    »Stimmt. Mein Großvater.«
    »Merry, deine Schwester, also, die sieht aus wie deine Mutter.«
    »Ich weiß.« Ich hoffte, mein Lächeln war sarkastisch genug, sodass sie es selbst durch ihre dicke Brille erkennen konnte.
    »Sie hat mich nicht ein einziges Mal besucht. Obwohl sie jetzt in Brooklyn wohnt. Sie hat Arnie angerufen.«
    Ich nickte, als wäre Tante Cillas Klage auch nur ansatzweise verständlich. Merry
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