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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit
Autoren: Randy Susan Meyers
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in das zerstörte Dorf zurückkehren zu müssen, das wir hinter uns gelassen hatten. Vielleicht hatte sie recht, aber zumindest war ich in eine sehr viel bessere Gegend von Brooklyn gezogen, viele Stufen über der, in der wir damals gelebt hatten. Ich war dem Slum entkommen.
    Ich trug Einkäufe nach Hause und schlurfte genüsslich durch das raschelnde Oktoberlaub. Platanen säumten meine Straße, mit breiten Stämmen und schützenden Kronen. Die traditionellen Häuser aus dem typischen braunen Sandstein erinnerten an wohlhabende Herren aus dem achtzehnten Jahrhundert, die stolz auf ihre stattliche Leibesfülle waren. Die Eigentümer der Vergangenheit hatten die meisten der alten Gebäude in Wohnungen aufgeteilt, aber ab und zu spähte man durch ein Fenster in einen erleuchteten Raum und sah ein wahrhaftiges altes Wohnhaus mit prächtigen, holzgetäfelten Zimmern und schimmernden Parkettböden, auf denen sich das Licht der Kronleuchter golden spiegelte.
    Ich stieg die Treppe zum Eingang des Sandsteingebäudes hinauf, in dem ich mit Drews und Lulus Hilfe eine Genossenschaftswohnung im ersten Stock gekauft hatte. Meine vier Zimmer empfingen mich mit offenen Armen. Fensterläden in sattem Mahagoni hielten den Wind ab. Wenn ich sie öffnete, ließen sie die Sonne die kunstvoll verlegten Muster des Parkettbodens nachzeichnen. Stück für Stück hatte ich gebrauchte Möbel gefunden, die perfekt hierherpassten. Das Sofa hatte ich neu gekauft und das dunkle Rubinrot mit saphirblauen Kissen kombiniert.
    Mein Vater hatte ein Bücherregal aus Holz mit schöner Maserung entdeckt, das jemand für den Sperrmüll rausgestellt hatte, und er hatte die Schönheit unter den vielen Schichten Schmutz erkannt. Vor drei Wochen hatte er das fertige Produkt mit dem Lieferwagen der Optikerwerkstatt, in der er arbeitete, hergebracht und mir das überarbeitete Stück geschenkt, das von Polyurethan dermaßen glänzte, dass er damit den Wert des Regals als Quasi-Antiquität vermutlich ruiniert hatte.
    Ich packte meine Einkäufe aus und räumte sie in die offenen Küchenregale, die mein Vater sorgfältig und passend zu den Sofakissen gestrichen hatte. Einmal pro Woche aßen wir zusammen zu Abend. Manchmal gingen wir in ein Restaurant. Ich suchte meistens winzige, exotische Lokale aus, er dagegen mochte die Brooklyner Steakhäuser. Danach sahen wir uns immer einen Film an. Tränenreiche Dramen, wenn ich aussuchen durfte, Musicals, wenn er die Wahl hatte. Meistens kochte er, eine von mehreren seiner neu entdeckten Nebenbeschäftigungen: die norditalienische Küche, Sperrmüll aufarbeiten, Draht zu kunstvollen kleinen Figuren verdrehen. Er tat, was er tun konnte, um mich glücklich zu machen, außer mit mir über die Vergangenheit zu sprechen. Dazu war er nicht bereit, obwohl er manchmal, ohne es selbst zu merken, in einer Erinnerung an uns vier versank und mir damit ein Häppchen Geschichte zuwarf, von dem ich mich wochenlang ernährte.
    Ich arrangierte das mitgebrachte Sushi auf einem bunten Glasteller und goss Heidelbeersaft in ein hohes Glas. Dann nahm ich mir ein Lehrbuch und einen Textmarker und setzte mich an den kleinen Holztisch, den ich in einem Antiquitätenladen an der Atlantic Avenue gefunden hatte.
    Ich verbrachte mein Leben damit, zu arbeiten, zu lernen und mich mit meinen neuen Freundinnen zu treffen. Meine Besuche in Cambridge waren selten geworden, aber nicht so selten, dass ich mich dort fremd gefühlt hätte. Ich brauchte Zeit, um Barrieren zwischen Lulus Ansichten über mich und dem sich entwickelnden, neueren Ich zu errichten. Sie brauchte Zeit, eine Familie neu zu ordnen, zu der ich nicht mehr als halb drinnen, halb draußen steckendes Anhängsel gehörte. Ich musste eine Tante, eine Schwester und eine Schwägerin werden statt des hungrigen Kindes, das sein Gesicht an die Fensterscheibe von Lulus Welt presste.
    Ich hatte vorgehabt, in New York mit Kindern oder Frauen zu arbeiten, die Opfer von Gewaltverbrechen geworden waren. Eine riesige Traumklientel stand zur Verfügung: gefolterte Kinder, Vergewaltigungsopfer, von ihren Männern hoffnungslos geprügelte Frauen.
    Als ich eine soziale Einrichtung fand, die sich auf die milieutherapeutisch ausgerichtete Betreuung von Kindern ermordeter Eltern spezialisiert hatte, hatte ich geglaubt, zu Hause angekommen zu sein. Ich hatte mich in das Gebiet eingearbeitet, als wäre ich Madame Curie, die gerade das Radium entdeckt. Dabei war ich es leid geworden, meine eigenen Gedärme wieder und
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