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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit
Autoren: Randy Susan Meyers
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Wunderbar.«
    »Wie magst du ihn?« Das gläserne Sahnekännchen und die Zuckerdose wirkten in seinen rauen Händen fehl am Platz, doch er hielt sie mit schüchterner Zartheit.
    »Nur Milch.« Ich kämpfte mit den Tränen bei der Erkenntnis, dass mein Vater nicht einmal wusste, wie ich meinen Kaffee trank.
    »Das ist Kaffeesahne. Moment, ich hole dir Milch.«
    »Nein, Dad, schon gut. Kaffeesahne gönne ich mir sonst nicht.«
    »Siehst du? Dachte ich es mir doch.« Strahlend stellte er das Sahnekännchen vor mich hin. »Sieh dich nur an, kein Gramm zu viel. Perfekt wie immer.« Er schwang den Arm, um mich auf die Galerie an seiner Wand aufmerksam zu machen. Eine ganze Armee von Fotos war als Collagen oder einzeln in Rahmen aufgehängt. Jedes einzelne Foto, das ich meinem Vater je mitgebracht hatte, hatte er in Holz gerahmt. Spuren von Klebestreifen deuteten darauf hin, dass er sie auch an seinen Zellenwänden aufgehängt hatte.
    Ich sah meine Nichten als Babys, als Kleinkinder, mit sechs, mit zehn Jahren. Ruby in einem rosa Ballettröckchen, Cassandra beim Abschied aus dem Kindergarten. Meine College-Abschlussfeier. Lulus Hochzeit. Manche Bilder sahen aus, als hätte er sie vergrößern lassen. Viele Stunden Arbeit waren an dieser Wand ausgestellt.
    »Die Rahmen habe ich alle selbst gemacht«, sagte er. »Ich habe mir eine kleine Werkstatt eingerichtet. Und ich bin erst halb fertig. Meine Vermieterin sagt, ich hätte die hübscheste Familie in ganz Brooklyn.«
    »Aber wir wohnen doch gar nicht in Brooklyn, Dad.«
    »Ich schon, und habt ihr nicht alle mit mir angefangen?« Er stellte eine Platte Bagels auf den Tisch, so viele, dass wir jeder ein halbes Dutzend davon essen konnten. »Ich wusste nicht, welche Sorte du magst, also habe ich von allen welche genommen. Schau, ich habe Knoblauch, ohne alles, Mohn und eine Sorte, die ›mit allem‹ heißt. An die erinnere ich mich gar nicht. Ich glaube nicht, dass es die früher gab. Such du dir zuerst was aus«, beharrte er, als könnten die Bagels knapp werden.
    Er ging zurück zum Kühlschrank und brachte eine Platte mit Räucherlachs und einem rosa Becher Temptee-Käsecreme an den Tisch.
    »Temptee habe ich nicht mehr gegessen, seit Oma gestorben ist.«
    »Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich zum Hörer greifen und sie anrufen sollte«, sagte mein Vater. »Sie hat mich nie im Stich gelassen. Und Gott weiß, wie sehr ich sie enttäuscht habe.«
    Was erwartete er jetzt von mir? Nicht doch, Dad. Du warst ein guter Sohn. »Sie war gut zu uns allen«, sagte ich. »Ich habe mich bei keinem anderen Erwachsenen entspannen können, in meiner ganzen Kindheit nicht.« Ich griff nach einem Bagel »mit allem«. »Nur bei Oma habe ich mich wohlgefühlt.«
    »Nicht mal bei mir?«, fragte er.
    Ich hielt Bagel und Messer still. »Machst du Witze, Dad?«
    »Süße, du hast mich doch ständig besucht. Wie konntest du dich da bei mir nicht wohlfühlen?« Seine Augen flehten mich an zu lügen. Bitte, gib mir dieses Stückchen Frieden , flehte er stumm.
    Mir war der Appetit vergangen, und ich legte den Bagel, noch nicht einmal angeschnitten, auf meinen Teller. »Dad, was glaubst du, warum ich dich seit Dezember nicht mehr besucht habe, oder war es November?«
    »Wegen Lulu«, sagte er. »Ich dachte, vielleicht hat sie es dir verboten.«
    Überwältigt von dem Drang, die Fotos von der Wand zu reißen und jeden Rahmen einzeln zu zerschlagen, teilte ich den Bagel in zwei Hälften und halbierte die noch einmal. »Wie kannst du dir selbst solche Märchen erzählen?«
    »Müssen wir das immer wieder durchkauen, jetzt, wo ich endlich draußen bin?« Mein Vater nahm sein Messer und sägte den Bagel mittendurch, langsam, Zentimeter für Zentimeter, bis er auseinanderfiel, und griff dann nach dem Buttermesser.
    Ich legte die Hand auf seine und hielt ihn zurück. »Hast du Narben?«, fragte ich. »An den Handgelenken?«
    Mein Vater zog seine Arme zurück, als fürchtete er, ich könnte ihn packen und festhalten, um mich selbst davon zu überzeugen. »Warum tust du das? Es ist so lange her.«
    Ich stand auf und öffnete die beiden oberen Knöpfe meines babyblauen Pullis, von dem mir jetzt erst auffiel, dass er ganz aus flauschigem Angora und damit wie gemacht für ein niedliches kleines Mädchen war. Ich zog ihn mir von der linken Schulter. »Sehen deine Narben so aus?«
    »Hör auf. Bitte.« Er kam auf mich zu.
    Ich wich zurück. »Du hast meine Narben überhaupt noch nie gesehen«, sagte ich. »Du
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